Toulouse, die rosa Stadt

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Ich weiss wirklich nicht, weshalb nicht alle Leute einen Trip nach Okzitanien machen – es ist ein Paradies.

Ganz besonders Toulouse, auf Okzitanisch Tolosa, das rund je 1.5 Stunden vom Mittelmeer und von den Pyrenäen und 2.5 Stunden von Bordeaux entfernt liegt und die rosa Stadt genannt wird!

Keine Ahnung, wo Okzitanien liegt? Zugegeben, politisch war Okzitanien bis vor Kurzem nie eine Einheit.
Es umfasst generell den südlichen Drittel von Frankreich.

Okzitanisch ist eine eigenständige Sprache, ähnlich wie Katalanisch. Sie war ein starkes Bindeglied für die Bevölkerung Südfrankreichs von Nizza bis Bordeaux.

Die Strassen und Plätze sind meistens zweisprachig angeschrieben – und die Namen stimmen auch nicht immer überein.

Seit 2016 ist „Okzitanien“ offiziell der Name der französischen Region, die aus der Fusion der Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées hervorgegangen ist – Hauptstadt ist Toulouse.

Was unterscheidet Toulouse von Marseille?
In Toulouse wird lieber Rugby als Fussball gespielt.

Dem okzitanischen Kreuz – oder Tolosanerkreuz – begegnet man in der rosa Stadt immer wieder – es war ursprünglich das Wappen der Grafen von Toulouse.

Wie schafft es eine Stadt, rosa – und dabei nicht kitschig zu sein? Ganz einfach mit vielen Backsteinbauten, die frühmorgens und abends sanft rosa schimmern.

Noch zwei Farben gehören für mich zu Toulouse: Die Farbe der Veilchen…

… und “Pastel”, die Farbe, die aus der Färberwaid-Pflanze gewonnen wird.

Auf dieser Pflanze basierte übrigens der Reichtum von Toulouse, der mit dem Import von Indigo-Blau aus Indien ein jähes Ende fand.

Zurück zum Rosa, von Violett und Pastellblau erzähle ich in einem anderen Blogbeitrag.

Sandstein war teuer, Marmor noch teurer, denn rund um Toulouse gab es kaum entsprechende Steinbrüche und der Transport war kostspielig. Also baute man mit gebranntem Lehm, mit Backsteinen. Der Schwemmsand der Garonne, die aus den Pyrenäen kommt, eignete sich hervorragend für die Backsteinherstellung.

Backstein galt über Jahrhunderte nicht als edler Baustoff. Um trotzdem imponieren zu können, wählte man eine Mischung und setzte protzige Marmorsäulen ein, wie beispielsweise Kapitol.

Oder man wertete die Bauten mit verschnörkelten Gusseisenelementen auf. Oder man verputzte die Backsteinfassaden. Heute ist Toulouse wieder stolz auf seine Backsteinbauten und bei Renovationen wird der Verputz entfernt und die Backsteine werden wieder stolz gezeigt.

Stolz sein dürfen die Toulouser auf ihr Tourismusbüro. Ich hatte einen Termin im “donjon” beim Kapitol, wusste aber nicht, was ein “donjon” ist.

Der Bau des Donjon du Capitole wurde 1525 von den Capitouls, Konsuln, den Abgeordneten des Parlaments von Toulouse, beschlossen.
Toulouse war vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution eine Stadt, welche die Herrschaft, Justiz und Verteidigung über das ganze umliegende Gebiet besass. Ihre Zuständigkeit umfasste nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Justiz und das Militär. Mit der Gründung des Parlaments von Toulouse im 15. Jahrhundert wurden ihre juristischen Befugnisse reduziert. Mit der Französischen Revolution wurde das Kapitulat wie die anderen lokalen Institutionen abgeschafft.

Nicht nur Häuser, sondern auch Kirchen und die Basilika Saint-Sernin, die grösste romanische Kirche des Westens und eine wichtige Station auf dem Jakobsweg von Arles nach Santiago de Compostela, sind aus Backstein gebaut.

Die Pilgerkirche Saint-Sernin wurde über dem Grab des Heiligen Saturninus, Bischof von Toulouse, gebaut, der 250 von einem Ochsen zu Tode geschleift wurde. Sie gehört seit 1998 zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Erbaut wurde die Basilika zwischen 1077 und 1119. Der achteckige Glockenturm hat eine Höhe von 65 Metern.
Die Grösse der Kirche ist in ihrer Funktion als Pilgerkirche begründet. Bis zu 1000 Pilger täglich kamen im Mittelalter, um sich einen Platz im Himmel zu sichern. Die Kirche ist denn auch voller Reliquien.

Der Eingang für die Pilger erfolgte durch das Seitenportal. (3 + 4).

Kaum drinnen legte man die Hände auf die im Lauf der Jahrhunderte abgewetzten Füsse eines Heiligen. Kein Wunder, die Füsse müssen beim Pilgern geschmerzt haben.

Zahlreiche Schreine, Statuen und Kapellen erzählen Heiligengeschichten.

Die Wände und Decken sind kunstvoll bemalt.

Ich versuche mir vorzustellen, wie es war, als sich vor Jahrhunderten hunderte zerlumpte Pilger in die Stadt gedrängt und ein Nachtlager gesucht haben.

In Kirchen haben oft nicht alle das Recht, Gott gleich nah zu sein, dafür sorgen kunstvolle Gitter.

Weniger Glück mit dem Glockenturm als Saint-Sernin mit seinem prächtigen achteckigen Turm hatte die Eglise Notre-Dame du Taur. Es reichte statt für einen Turm gerade mal für eine Mauer, liebevoll von den Toulousern Glockenmauer genannt.

Ein anderes Kaliber ist der Jakobinerkonvent des Dominikanerordens. Sie wirkt von aussen wie eine mittelalterliche Festung und wurde im 13. Jahrhundert geweiht. Zu dieser Zeit herrschte in Südfrankreich die Bewegung der Katharer.
Am Übergang zur Renaissance waren sie ein Vorbild für ein reines Leben im Geist des ursprünglichen Christentums.

Ich wusste vor meiner Reise nach Toulouse nicht, was Katharer sind. Die katholische Kirche hat damals grausam verhindert, dass Werte, die heute für uns selbstverständlich sind, gelebt werden durften. Das Auftreten der Katharer wurde als existenzielle Bedrohung bestehender Machtstrukturen wahrgenommen, der Klerus fürchtete den Verlust von Macht und Privilegien.

Das Gesellschaftsmodell der Katharer in Okzitanien wurde nicht nur durch die Dynamik des Bürgertums und des Handels gestützt, sondern auch durch den offenen Austausch der verschiedenen Kulturen. Es basierte eher auf Rationalismus und Dialog als auf Glauben und Dogma, und propagierte eine Gesellschaft des toleranten Miteinanders. Die Kultur der Katharer wurde durch die Inquisition brutal vernichtet. Zahllose Menschen fanden einen qualvollen Tod.


Die katholische Kirche präsentierte mit dem Bau dieser Kirche in der Form einer voluminösen Schachtel ohne Seitenschiffe ihre Macht.

Umso mehr staunt man, wenn man die Kirche betritt. In der Mitte hat es eine Reihe Säulen. Der polygonale Chor wird von einem Fächergewölbe aus 22 Rippen, von einem Mittelpfeiler ausgehend, getragen. Man nennt diesen Teil “die Palme”.

Mir gefällt die stille Harmonie der Farben und Muster.

Nun aber genug von den Kirchen. Toulouse ist eine junge, lebenslustige Stadt. Geprägt von der Luft- und Raumfahrt hat es viele junge Leute, die in Forschung und Produktion von Flugzeugen und Raketen beschäftigt sind, beispielweise bei Airbus. Doch davon mehr in einem späteren Beitrag.

In Toulouse pulsiert das Leben auf dem Place du Capitole.

Hier mache ich es mir unter den Arkaden gemütlich und schaue dem Treiben auf dem Platz zu.

Toulouse liegt an der Garonne. Der 647 km lange Fluss entspringt in den katalanischen Pyrenäen, überquert nach wenigen Kilometern die Grenze zu Frankreich und fliesst durch Toulouse nach Bordeaux, wo sie mit der Dordogne zur Gironde vereinigt in den Atlantik mündet.

Toulouse ist also über den Wasserweg, über die Garonne mit dem Atlantik verbunden.

Von Toulouse führt der Canal du Midi nach Sète zum Mittelmeer.
Der Kanal wurde bereits 1681 fertiggestellt, ein Meisterwerk von Ingenieuren.
Seit 1996 gehört der Canal du Midi zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Die Garonne prägt das Stadtbild.

Obwohl man in der Garonne nicht baden möchte, spielt sich hier Freizeitleben ab.

Genial sind die Löcher in den Pfeilern, wo bei Hochwasser das Wasser nicht nur zwischen den Pfeilern, sondern auch durch die Pfeiler hindurchfliessen kann.

Ich flaniere gern durch die Gassen von Toulouse. Die Altstadt ist gut zu Fuss zu “erobern”. Ich finde beispielsweise ein sympathisches Lokal: “Madame de Bovary”. Die Inhaberinnen sind freundlich, freuen sich, dass ich fotografieren möchte und fragen, ob sie die Beleuchtung einschalten sollen. Ich frage generell immer, ob ich fotografieren dürfe und erhalte andernorts manchmal ein schroffes “Nein”. Anders in Toulouse. Die Leute sind herzlich, offen und hilfsbereit.

Ich bin fasziniert von der rosa Stadt.

Besonders mag ich Spiegelungen, welche die Vielschichtigkeit dieser Stadt aufzeigen.

Immer wieder kehrt man zum Place de Capitol zurück.

Auch beim Einnachten ist der Platz vor dem Capitol ein Ort zum Verweilen.

Es gibt noch so viel zu erzählen von Toulouse. Über Saint-Exupéry und Airbus, über Gastronomie und Lebensgenuss…

Am besten fährt man selbst hin.

Das Leben ist nicht schwarz und weiss – es ist rosa.

Pavel Kosorin

Musik
Claude Nougaro singt “Toulouse“, Text

Es ist wahrscheinlich dem beliebten, in Toulouse geborenen Tango-Sänger Carlos Cardel zu verdanken, dass der Tango sowohl als Tanz als auch als Musikrichtung bei den Einwohnern der Stadt so beliebt ist.
Carlos Gardel “Sus 50 Mejores Tangos

Informationen
Toulouse Tourisme
Tourismus Occitanie
Toulouse atout

Dank
Ich danke Caroline Ducasse für die Organisation dieser Reise.
Gern bin mit Marine Esch und Céline Gazel durch Toulouse gestreift. Auch ihren Organisationen danke ich!

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  1. Marianne Helbling

    Nach all den schönen Bildern, könnte ich eigentlich Toulouse auf meinen Ferienplan 2020 nehmen. Mit einfachen, gut verständllichen Texten, hätte ich eine gute Einführung in die so vielseitigen “orangen” Bauten. Am liebsten würde ich schon dieses Jahr da hin gehen

    Danke liebe Regula für die vielen schönen Bildern. Es liest sich so leicht und gab doch sehr viel Arbeit, oder?

  2. ritanna

    Du schaffst es, dass ich richtig andächtig unter den hohen Gewölben stehen bleibe, nach oben schaue und staune und staune.
    So viel, so reiche Architektur. Dies alles haben Menschen geschaffen.
    Welche Vielfalt, Pracht aus quasi “billigem” Sand. Diese Prachts-werke stehen noch heute. Und wir dürfen sie bestaunen.
    Katharer (griech. “die Reinen”)”Albigenser” Zweig der im 11.Jh. vom Balkan nach Oberitalien und Südfrankreich eingedrungenen Neumanichäer (Manichäer, Bogomilen) verwarfen die röm. Kirchenlehre, wurden deswegen 1209-29 fast völlig vernichtet.
    Wenn man/wir bedenken, dass die Leute vom Balkan damals offen liberal dachten und lebten – und heute viele dort eher “engstirnig”, so staunen wir, wie vieles doch bis heute erhalten blieb, uns die Chance gibt – zu unterscheiden und geniessen. Danke.

  3. Hedi Urban

    Herzlichen Dank für den sehr sympathischen Reisebericht über Toulouse und die schönen Photos. Ich kenne die Gegend sehr gut und fahre regelmässig seit Jahren dorthin. Südfrankreich ist nicht nur Strand und Meer, dass Land dahinter ist grandios, vielfältig und es wert, entdeckt zu werden. Trotz der, je nach Saison, riesigen Tourismuswelle im Sommer, sind die Leute herzlich, offen und freuen sich echt, wenn man sich als Fremder für ihre Kultur interessiert.

    • Regula Zellweger

      Danke für Deinen Kommentar, liebe Heidi. Es wird noch weitere Beiträge zu Toulouse und Albi geben. Und ja, die Leute sind extrem offen und freundlich!

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