Engel und Hirten aus Papiermaché

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Papiermaché – da denkt man an Werken in der Schule und an den betörenden Duft von Fischkleister.

Bei meinem Besuch in Thüringen erlebte ich, dass Papiermaché ein wunderbares Material zum Gestalten ist. Und ich war tief betroffen, was mit Familienunternehmen zur DDR-Zeit in Thüringen und anderswo geschah.

Auf den ersten Blick ist das Material “Marolin”, eine besondere Rezeptur von Papiermaché, nicht zu erkennen. Wunderbar leicht sind die Weihnachtskugeln, sind aber nicht so zerbrechlich wie Glas.

Marolin® ist einerseits der Markenname und andererseits die Bezeichnung für die Papiermachémasse, aus der Figuren gefertigt werden.

Das Haus in Steinach wurde in den ersten Jahren sowohl zum Wohnen als auch zum Arbeiten genutzt. Es war ein für diese Gegend klassischer Familienbetrieb.
Die Belegschaft bestand am Anfang nur aus Richard Mahr und seiner Frau. Sicher haben auch seine Eltern mitgeholfen. Abnehmer der damals gefertigten Produkte waren die in Sonneberg ansässigen Verlegerfirmen aus dem In- und Ausland.
Richard Mahr schuf die Modelle für seine ersten Figuren selbst. Voraussetzung dafür war seine Ausbildung in der plastischen Formgebung durch den Beruf des „Modellbauers für anatomische Lehrmittel“ und zudem als Figurenmaler.

Um 1910 beschäftigte er bereits zehn Arbeiter und einen Lehrjungen.

Etwa 1920 trat der aus Steinach stammende Modelleur Julius Weigelt, 1901 – 1982, in die Firma ein. Er hatte an der Industrieschule in Sonneberg gelernt. Er fertigte die Modelle für das gesamte Figurenprogramm an.

Mit Beginn des 2. Weltkriegs wurde der stetigen Expansion der Firma ein jähes Ende bereitet. 1940 wurde die Produktion der Marolin-Figuren völlig eingestellt, da die männlichen Mitarbeiter zum Kriegsdienst herangezogen wurden.
Nach 1945 schien die Firma aufgrund der raschen Wiederherstellung der alten Geschäftsbeziehungen zunächst an den Erfolg der Vorkriegsjahre anknüpfen zu können. Die Bildung der zwei deutschen Staaten sollte aber die weitere Geschäftsentwicklung stark behindern.

Erschwerend kam hinzu, dass die seit 1944 eingefrorenen Preise erst ab 1970 schrittweise dem realen Niveau angeglichen wurden.

Zudem zerstörte ein Brand 1958 viele Formen und die Lagerbestände.

Und die Herstellung von Krippenfiguren und Devotionalien mehr geriet zu DDR-Zeiten in den Hintergrund.

Nach der Enteignung der Firma im Jahr 1972, die nun ein “volkseigener Betrieb” wurde, in dem die Besitzerfamilie als Arbeiter beschäftigt wurde, setzten die neuen Herren die Vernichtung von alten Formen fort.

Rund ein Drittel ging dadurch verloren.

Von 1972-1990, bis nach der Wende, wurden vom neuen Besitzer der ehemaligen Firma Mahr unter der Regie der sozialistischen Planwirtschaft nur wenige Investitionen getätigt. Produktionsmittel wurden abtransportiert, der Betrieb wurde “demontiert”.
Die Schäden an der baulichen Substanz, die in der volkseigenen Ära durch Vernachlässigung und mangelhafte Reparaturen entstanden, konnten trotz umfangreicher Rekonstruktionsmassnahmen nach der Reprivatisierung bis heute nicht vollständig behoben werden. Sie werden die Firma noch auf Jahre hinaus finanziell belasten.

Heute wird beim Familienunternehmen MAROLIN Manufaktur das traditionelle Handwerk heute wie damals Schritt für Schritt in Handarbeit ausgeführt.

Es gibt grundsätzlich zwei Techniken der Verarbeitung: Drücken und Giessen.

Beim Drücken wird plastische Papiermachémasse verwendet und in meist zweiteilige Formen eingepresst.

Im Drückverfahren werden sowohl Ansatzteile als auch ganze, meistens kleine, Figuren gefertigt.

 

In die Drückermasse eingelegte Bewehrungsdrähte aus Kupfer sorgen für die nötige Stabilität des Teiles.

Die getrockneten Drückerteile müssen vor allem an den Nahtstellen entgratet werden.

Einzelne Teile werden zusammengesetzt.

Dies geschieht in Handarbeit, nachdem die Teile langsam getrocknet wurden.

Für die Herstellung der Figuren im Giessverfahren werden zunächst sogenannte Arbeitsformen benötigt.

Diese werden aus Gips gefertigt, der über die mit einem Kunststoffband eingehauste Mutterform gegossen wird. Nach einiger Zeit kann man Mutterform und Arbeitsform voneinander trennen.

Nach dem Trocknen der Arbeitsformen kann das eigentliche Figurengiessen beginnen. Beispielsweise für Osterhasen zum Füllen. Dabei wird flüssige Papiermachémasse in die Formen gegossen. Der Gips entzieht der Masse das Wasser und an den Innenwänden der Form setzt sich eine dünne Schicht MAROLIN® – Masse an.


Nach etwa 20 Minuten wird die Form kopfüber gestellt, damit die überschüssige Masse wieder herausfliesst. Nun müssen die Rohlinge etwa sechs Stunden in der Form trocknen, bevor sie entnommen werden können. Die jetzt “lederharten” Rohlinge erhalten ihre endgültige Festigkeit erst nach dem Trocknen im Trockenofen.

Beim Montieren werden die gegossenen und gedrückten Teile zusammengesetzt, verputzt und verschliffen. Die Schritte müssen mehrfach wiederholt werden, da sich technologisch bedingt immer wieder eine geringe Rissbildung zeigt. Die komplett montierte Figur wird in ein Leim-Kreide-Bad getaucht, damit die Oberfläche egalisiert wird. Erst wenn die Oberfläche tadellos ist, werden die Figuren bemalt und patiniert.

 

Informationen unter https://weihnachtsland.thueringen-entdecken.de.

Traditionell bekamen Mädchen Engel, die Jungen Bergmänner. Die Figuren wurden in die Fenster gestellt. So zeigte man stolz den Kindersegen in der Familie.

Die Figuren erzählen alle eine Geschichte – und jeder erzählt sie sich anders.

Diese Kugel ist ein Geschenk, das nun an unserem Christbaum hängt.

Kleine Schätze am Strand des Lebens erzählen uns
wunderbare Geschichten.

Angelika Emmert

Wünsche
Ich wünsche allen meinen Blogleserinnen und -lesern frohe Festtage und im 2023 Gesundheit, Leichtigkeit und Lebensfreude.

Informationen
Unternehmen Marolin
Film Marolinbearbeitung
Weihnachtsgeschichte mit Marolin
Nostalgischer Weihnachtsschmuck

Dank
Ich danke Evelyn Forkel, Geschäftsführerin der Marolin Manufaktur und Urenkelin des Gründers, für die kompetente und herzliche Führung.
Ich danke Mandy Neumann von Thüringen Tourismus GmbH für die Christbaumschmuckreise in Thüringen.

Musik
London Symphony Orchestra – Christmas Classics

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  1. anna frick

    ich ha mangisch dankt us was sind gwüssigi figure gmacht😳villicht hani i de krippe au us papiermache‘ figure😁danke für din interessante bricht regula👍 allne e liebvollni wiehnacht ziit❤️❤️❤️

  2. Lis

    Liebe Regula,
    Vielen Dank für Deinen mit viel Liebe gestalteten Advents- Kalender.
    Mit Spannung und Freude habe ich jeweils die Türchen geöffnet und mich über Deine
    Beiträge gefreut.
    Ich wünsche Dir und Deiner Familie von Herzen ein frohes Weihnachtsfest und für das neue Jahr alles Gute und viele schöne Glücks-Momente.

  3. Susanne Baer

    Ganz herzlichen Dank, liebe Regula, für all die schönen , interessanten und oft auch überrachenden Beiträge im Adventskalender!
    Dieser letzte Beitrag hat mir sehr gefallen. Ob man dieses Marolin-Material auch als Rohmaterial (Pulver) kaufen kann? Du hast bei mir eine Lust ausgelöst, auch wiedereinmal mit Papier zu modellieren! Herzliche Grüsse
    Susanne

  4. Ritanna

    Wunderbar und traurig die Marolin Geschichte. Habe ich doch in Ende 70ziger Jahre oder anfangs 80ziger eine höchst wundervolle Ausstellung in der Mall Sonnenmärt Bremgarten bestaunt; alles in der damalige DDR aus Papier, kleinsten Schoggisilberpapierli wunderbarste Krippen, Krippenfiguren geschaffen. Und so kommen mit Deiner bebilderten Erzählung die Erinnerungen wieder zum Vorschein.
    Ich danke Dir Regula.

  5. Hildegard

    24 Tage lang war dein wunderbarer Adventskalender lieber Begleiter durch die besondere Zeit. Die Türchen haben viel Freude gemacht. Du hast sie mit viel Liebe und sehr gekonnt für deine Fangemeinde gestaltet. Dafür möchte ich dir sehr herzlich danken. Ein bisschen macht es traurig, dass kein Türchen mehr auf einen wartet. Nun denn – nächstes Jahr wieder….
    Ich wünsche dir, liebe Regula, eine spannende, interessante Reise mit vielen lieben Ueberraschungen durchs 2023
    Hildegard

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