Ich kann nicht reisen, ohne über Kunst zu stolpern.
Als Bloggerin nehme ich diese intensiver wahr, als wenn ich einfach reisen würde, ohne darüber erzählen zu wollen.
Kunst beeinflusst mich von allen Seiten. Diese Erlebnisse verarbeite ich mit Bloggen.
Bloggen ist ein Lebensstil. Oder auch Lebens-KUNST.
Bloggen verändert die Wahrnehmung.
Dies realisierte ich erstmals vor drei Jahren, als ich mich entschloss, den Übergang ins Pensionsalter so zu gestalten, dass ich ein neues Projekt, das Bloggen, anpeilte. Heute kann ich sagen, dass mich der Blog über die Pensionierungsgrenze “hinübergezogen” hat, meine drei letzten Lebensjahre waren wirklich voller Glitzermomente und beglückenden Begegnungen.
Vor über drei Jahren fuhr ich über den Grimselpass ins Wallis. Es war ein Spätherbsttag, wo Sonne und Nebel im Clinch liegen und beide nicht gewinnen. Plötzlich tauchte aus den Nebelschwaden ein Schweizersoldat zu Pferd auf.
Normalerweise hätte ich einfach an meinem Verstand gezweifelt. Nun aber hielt ich an, packte meinen Fotoapparat und fragte den Soldaten, ob ich fotografieren dürfe.
Er lachte und aus dem Nebel tauchte eine ganze Truppe auf. Ich machte Fotos und recherchierte danach, was es mit der Schweizer Kavallerie auf sich habe, die ja eigentlich gegen den Willen des Volkes längst abgeschafft wurde.
Das war ein Schlüsselerlebnis und hinterliess seine Spuren. 🙂
Mit dem Bloggen veränderte sich meine Wahrnehmung, mein Verhalten. Ich gehe heute Dingen nach, recherchiere, will es genau wissen – und das macht Spass.
Neugier beflügelt die Wahrnehmung.
Entdecken ist die Belohnung der Neugier.
Was hat dies nun mit Kunst zu tun? Der Umgang mit Kunst verlangt die Fähigkeit, sich intensiv wahrnehmend auf eine Sache einzulassen.
Kunst ist Betrachtungssache –
aufgrund individueller Werte.
Beim Betrachten nimmt man sich und seine Werte mit, objektiv kann man nicht – und ich will es auch nicht sein. Das ist das Schöne am Bloggen im Vergleich zum Journalismus: Man darf das Wort ICH schreiben.
Man kann nicht reisen,
ohne Kunst zu begegnen.
Doch was ist Kunst? Was Kunsthandwerk? Um es gleich vorwegzunehmen, dieser Blogbeitrag will Kunst nicht definieren, nicht eingrenzen. Sondern Lust machen, Kunst bewusst wahrzunehmen, darüber nachzudenken – egal, ob es nun Kunst ist oder nicht.
Es gibt Reisen, die unternimmt man mit dem expliziten Ziel, sich mit Kunst zu beschäftigen. So zum Beispiel letztes Jahr bei einer Kunstreise nach Salzburg.
Diese Reise begann mit einem Vortrag zum Fotografieren.
Dabei lernte ich beispielsweise, dass ein Foto aus dem Fenster interessanter ist, wenn man die Aussicht sich spiegeln lässt.
Das habe ich dann im Hotelzimmer gleich ausprobiert.
Die Journalistengruppe bekam den Auftrag, eine Skulptur zu fotografieren und jeder ging anders an die Aufgabe heran.
Dieses Bild ist mein Favorit. Ich sehe Kunst in Beziehung zu Menschen, es muss Bewegung drin sein und ich mag es, wenn sich Formen – wie die Wellen in der Skulptur und die Haare der Frau – wiederholen. Mit jedem Foto kommuniziere ich mich also auch selbst. Man macht sich seine eigene Wirklichkeit, andere eine andere. 🙂
Spass macht auch, zu beobachten, wie andere Kunst fotografieren. Lachen muss ich immer, wenn Leute mit Kunstobjekten Selfies machen.
Oder wenn man ein Detail ablichtet, das schmunzeln lässt, wie der Bergrücken und der Hintern des Pferdes.
Das Beobachten von Menschen, die Kunst betrachten, gefällt mir. Die einen wissen alles ganz genau, anderen steht ins Gesicht geschrieben, dass sie trotz aller Bemühungen nicht kapieren, was das Ganze soll.
Auch ich stand ratlos wie eine Kuh vor diesem Kunstrasenhaufen.
Kunst-Rasen! Oder was? Nicht mal essen kann man das.
Was aber wirklich schön ist, wenn man Kunst nicht nur anschauen, sondern auch selbst ausprobieren kann.
Auch in dieser Ausstellung in Südschweden wurde man motiviert, selbst zu zeichnen.
Freude macht mir, wenn ich unverhofft auf Kunst stosse. In diesen alten Schlossmauern in Kalmar erwartete ich nicht, auf Van Gogh zu stossen. Es hatte kein einziges Originalgemälde, aber ich bin noch selten so intensiv in die Welt von Van Gogh getaucht.
Berührend ist eine Reise auf den Spuren eines Künstlers.
Wenn man ein Motiv eines bekannten Bildes in der Realität sieht.
Oder wenn man – wie hier – das Bistro besucht, wo Van Gogh oft Gast war.
Wenn man am Tisch tafelt, wo auch er oft gesessen hat.
Und wenn man sogar dasselbe Geschirr benutzt.
Tränen kamen mir, als ich das Treppenhaus zu seinem Sterbezimmer hochstieg und Musik von Gustav Mahler hörte.
Van Gogh begegnete ich auch in Potsdam. Vor einem seiner Stillleben stand eine Dame, die das Bild mit ihrer Kleidung widerspiegelte. Dieses Foto liebe ich. Verbindung von Kunst und Mensch – gewürzt mit einer kleinen Prise Humor.
Humor findet man oft in Kleinkunst, wie hier in einem kleinen Museum in Diessen am Ammersee.
Auf den Spuren von Cézanne habe ich Aix-en-Provence entdeckt.
In Toulouse habe ich im Hotel geschlafen, wo Antoine de Saint-Exupéry, der Erschaffer des kleinen Prinzen, zwischen seinen Flügen wohnte.
In Toulouse war ich auch auf der Spur von Toulouse-Lautrec.
Ich besuchte zudem seine Geburtsstadt Albi.
Wo ich nicht nur ihn fand, sondern auch Alberto Giacometti.
Ich gebe es zu, wahrscheinlich stolpere ich öfters über Kunst, als dass ich sie explizit suche.
So beispielsweise bei einem Schlossbesuch in der Nähe von Albi. Auf meinem Programm stand eine Führung im Schloss um 17.00 Uhr. Als ich dort ankam, sass eine ältere, sehr gepflegte Dame im Schlosshof und sah mich unfreundlich an.
Sie informierte ihren Sohn, damit er mir das Schloss zeige. Unterdessen dürfe ich die Kunstwerke ihres Mannes anschauen, sagte sie gönnerhaft. Also kombinierte ich: Das ist die Schlossherrin und sie ist mit einem Maler verheiratet. Keine Ahnung wer “Bistes” ist. Pflichtbewusst schaute ich mir die Bilder an. Malen kann er, aber aufhängen würde ich die Bilder nicht.
Der Sohn kam und zeigte mir das Schloss. Mit dem Verkauf eines oder mehrerer Bilder renovierte der Maler “Bistes” ein weiteres Zimmer und verwandelte so einen alten Steinhaufen in ein wunderbares, skurriles Traumschloss – wo man übrigens auch übernachten kann.
“Wollen Sie meinen Vater kennenlernen”, fragte mich der Sohn. Ich dachte “NEIN”! Es war ein langer Tag gewesen, in dem ich mich in der französischen Pampa immer wieder verfahren hatte, weil mein Navi streikte. Ich wollte nur in das Schloss zurück, wo eine Suite und ein fantastisches Essen mit hauseigenen hervorragenden Weinen auf mich wartete. Und sagte freundlich “Ja, gern!” So bin ich. 🙂
Der Maler schoss mit einem gelben, tropfenden Pinsel hinter der Türe hervor, wedelte damit vor meiner Nase herum und rollte die Augen wie Salvador Dali. Aber irgendwie hatte er den Narren an mir gefressen. Er zeigte mir seine Privaträume. Beispielsweise das endlos verspiegelte Badezimmer, das mich Mani Matters “metaphysisches Gruseln” lehrte.
Für ein Foto legte er liebevoll seine eigene Totenmaske in sein Bett. Wir hatten eine gute, lange Zeit mit Gesprächen über Gott, die Welt und die Malerei – im Schloss und im Garten – und ab und zu kam seine Frau und beglückte mich mit einem giftigen Blick. Ich wollte längst gehen, stolperte aber über meine anerzogene Höflichkeit und mein Interesse an Menschen und ihren Geschichten.
Nach einem gemeinsamen Drink brachte mich der Maler durch den Park zu meinem Auto. Im Park war eine Büste einer wunderschönen Frau zu sehen, offensichtlich seine Frau in jungen Jahren. Gedankenverloren kratzte der Künstler etwas Vogeldreck vom Kunstwerk und meinte: “Ich habe es mein Leben lang nie gewagt – und die scheissen ihr einfach auf den Kopf.”
Reisen und Kunst bedeutet oft Überraschungen, Abenteuer und unvergessliche Erlebnisse.
Kunst findet man überall.
Kunst am Bau – oder als Architektur. In Salzburg züngeln Fenster. In der Steiermark kann man in Kunst baden – im wahrsten Sinn des Wortes. Im Bad Rogner kann man in die Kunst von Hundertwasser eintauchen.
Kunst lässt einen staunen, wie beispielsweise diese Werke. Es sind Alltagsgegenstände, welche die Künstlerin im Toten Meer eingelegt hat, bis sie Salzkristalle angelegt hatten.
Manchmal haben Künstler dieselben Ideen. Hier ein Stuhl in Nizza und ein Stuhl in Salzburg – von zwei verschiedenen Künstlern. Ja, was ist Kunst?
Diese Skulptur beim Dom in Salzburg hat mich tief berührt. Die Stühle weniger. Das Wahrnehmen von Kunst ist sehr persönlich. Ich glaube, ich reagiere sehr emotional auf Kunst, weniger intellektuell.
Man kann seine Meinung auch ändern. Diese Skulptur fand ich zuerst einfach doof. Dann aber sah ich das Vergnügen der Radfahrerin in ihrem Gesicht und in der entspannten Haltung – und musste lächeln. Es widerspiegelt ein Gefühl, das ich kenne, aber sprachlich nicht ausdrücken kann. Jetzt finde ich: Eine wunderbare Skulptur.
Ob Kunst gefällt – oder nicht – ist nicht nur subjektiv, oft ist die Wahrnehmung gekoppelt an ein Erleben, eine Erinnerung, ein Gefühl.
Beim Reisen mit einem Fokus auf Kunst befasst man sich auch mit Farben. Im kleinen Dorf Lautrec fand ich eine Frau, die mit “Pastel” färbte.
Warme Farben fand ich im Departement Vaucluse – wo man auf Schritt und Tritt über Geschichten von Malern stolpert. Das Licht dort ist einzigartig.
Man kann sich auch vornehmen, einen bestimmte Kunststil besser kennen zu lernen.
Beispielsweise Jugendstil in Nancy.
Oder in Berlin.
Oder Romanik auf der Reichenau.
Zeitgenössische Kunst in Konstanz.
Doch nicht nur Kunst aus westlichen Epochen findet man.
Andere Völker, ihre Mythen und Märchen, lernt man über Kunst kennen.
Kunst wird benutzt, um Macht zu demonstrieren, wie hier eine riesengrosse Moschee in Casablanca.
Die Frage, was Kunst ist, kann ich nicht beantworten. Denn eine Glyzinie oder eine abgeblätterte Fassade können wie Kunst erscheinen.
Ich wünsche allen:
Frechmut für die eigene Definition von Kunst.
Dieses Foto aus Quebec beschreibt meine Einstellung zu Kunst.
Kunst ist Ausdruck der unendlich vielen Möglichkeiten, zu sehen, zu fantasieren und darzustellen. Kunst hat keine Grenzen. Kunst ist lebendig.
«Kunst ist etwas, was so klar ist, dass es niemand versteht.»
Karl Kraus
Diesen Vortrag habe ich im Atelier der Künstlerinnen Christine Husi und Gianina Caviezel in Hausen gehalten. Flyer
Musik
Künstlerleben, Johann Strauss
Künstlerquadrille, Johann Strauss
Bilder einer Ausstellung, Mussorgsky
Zur sinfonischen Dichtung Nr. 11 „Die Hunnenschlacht“ liess sich Franz Liszt vom gleichnamigen monumentalen Wandgemälde des Malers Wilhelm von Kaulbach inspirieren.
Giacomo Puccini lässt in seiner Oper „Tosca“ den Maler Cavaradossi, Tenor, in einer Kirche ein Magdalenenbild malen. In seiner Arie „Dammi i colori…“ singt er vom Geheimnis der Kunst, die verschiedenen Farben der Schönheit zu verschmelzen.
In der Oper „La Bohème“ lässt Puccini den Maler Marcello, Bariton, ein Bild vom Roten Meer misslingen.
Meine Antwort auf Rolfs Kommentar, der zu lang für das Kommentar-Tool wurde:
Danke! Stimmt: Kunstrundschlag. Es gäbe noch so viele Geschichten zum individuellen Kunsterleben zu erzählen, erheiternde, bewegende und betroffen machende Erlebnisse.
Prägend war für mich ein Erlebnis in der Mittelschulzeit, vor rund einem halben Jahrhundert. Wir besuchten im Zeichenunterricht ein Museum in Winterthur und eine penetrant kunstbeflissene Mutter einer Mitschülerin begleitete uns. Gleich beim Eintreten ins Museum blieb ich schockiert vor einem Bild stehen, das aufgeschnittene Lachstranchen zeigte. Es nahm mir den Atem, ich fand es brutal, grauenhaft. “WARUM ist das schön”, wollte ich wissen. “Ist Kunst”, meinten meine Mitschülerinnen. “Wunderbar, diese Rot- und Grautöne, der Pinselduktus, die Pastosität der Farben”, die Kunstübermutter bombardierte das ganze Museum mit ihrem Kunstwissen. “Aber es ist schrecklich”, wagte ich zu widersprechen. “Um Himmels Willen, Kind, es ist wunderschön und bringt eine Saite in mir zum Klingen”, posaunte sie durchs Museum. Aber welche Saite?
Meine Mitschülerinnen stempelten mich einmal mehr zur Queren, Unangepassten, zu der, die mit doofen Fragen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will – und einfach nur unreif ist. Ich wurde still, zog mich verzweifelt in mich selbst zurück. Warum versuchte niemand, mich zu verstehen?
Drei Jahre später, ich war bereits eine junge Lehrerin, bekam ich einen Brief von einer ehemaligen Mitschülerin, welche die Kunsthochschule besuchte und später Kunstmalerin wurde.
“Ich kam zu spät zu einer Vorlesung. Gross an die Wand projiziert war das Bild von Goya, das Dich damals so berührt hatte. Auch ich reagierte mit Entsetzen. Goya hat das Bild in der Nacht nach dem Tod eines seiner Kinder gemalt, verzweifelt, von seinen sieben Kindern hat nur eines überlebt. Deine Empfindungen waren völlig richtig.”
Selten hat mich ein Brief so gefreut! Und wenn ich heute Kunst absolut nicht verstehe, sage ich mit einem kleinen, vielleicht etwas sarkastischem Lächeln: “Es bringt eine Saite in mir zum Klingen!”
Dori
Herzlichen Dank für die äußerst interessanten Beiträge.
Ich freue mich sehr, sie in alle Ruhe über das Wochenende zu geniessen.
Herzliche Grüsse
Dori
elfi
Sehr spannend, dein Beitrag, liebe Regula. Ich habe mich köstlich über deine Begegnung mit dem malenden Schlossherrn und Entourage amüsiert.
Adrian Spiegel
KUNST IST DINGE ANDERS ZU SEHEN ALS SIE SIND.
KUNST ÖFFNET DIE AUGEN FÜR NEBENSÄCHLICHES DAS MAN/FRAU SONST NICHT SIEHT.
KUNST KANN MANCHMAL HÖHERER BLÖDSINN SEIN.
KUNST IST NICHT KÜNSTLICH.
KUNST BILDET NICHT AB SONDERN ERFINDET SICH NEU…
…und so weiter. Einige von mir, andere geklaut
Regula Zellweger
Danke, lieber Adrian. Kunst ist also einfach ganz viel:-)
ritanna
“Van Gogh begegnete ich auch in Potsdam. Vor einem seiner Stillleben stand eine Dame, die das Bild mit ihrer Kleidung widerspiegelte.” – Dies Bild beindruckte mich nebts der Piéta am meisten – als Kunst.
Gelernt habe ich aus diesem Deinem Blog; “Neugier beflügelt die Wahrnehmung.
Entdecken ist die Belohnung der Neugier. – Kunst ist Betrachtungssache –
aufgrund individueller Werte. – Man kann nicht reisen, ohne Kunst zu begegnen.!”
Kunst ist überall, wer dies sehen und begreifen kann . Es führt mich in meine eigene Lebenskunst: Neugier ist lustvoll ! Danke für die Führung.
Doci32
Bewundernswerte Gedanken, von einer vorbildlichen Persönlichkeit vorgetragen ,
Genussvolle Zeilen….,
herzlichen Dank,
Regula Zellweger
Danke!!!
Rolf
Danke liebe Regula für deinen
KUNSTvollen Rundschlag
Rolf
Maja
Spannend und anregend dein Blog zu Reisen und Kunst. Herzlichen Dank, liebe Regula!
Stichworte, die mir dazu in den Sinn kommen:
Kreative, fantasievolle nicht alltägliche Blickwinkel. Unterschiedliche Objekte spielerisch miteinander verbunden. Farben, Formen, Lichtqualitäten in einmaligen Zeitmomenten fotografisch festgehalten. Eindrücke zu den neu zusammen gefügten Bildern mit persönlichen und philosophischen Texten untermalt. An uns, die oft mit dir resonant im Geschmack sind, mit-geteilt.
Petra Borner
Petra
Danke, liebe Regula, für deine Gedanken und Bilder zu Kunst und Reisen.
Der Blog hat mir sehr gefallen!
Nach meinem ersten Neapel-Besuch letzte Woche haften noch viele Bilder,
Skulpturen und Gebäude im Gedächtnis – leider nicht fotografisch und schriftlich
festgehalten!
Du bist mir ein Vorbild!