Brocante, L’Isle-sur-la-Sorgue

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Flohmärkte ziehen mich an wie ein Honigtopf eine alte Bärin. Überall auf der Welt. Und besonders in Frankreich.Eines der bekanntesten Brocante-Orte ist L’Isle-sur-la-Sorgue.

Wer am Sonntagmorgen die Brocante in L’Isle-sur-la-Sorgue besuchen will, steht besser früh auf.
Elisabeth und ich fuhren von Sanary-sur-Mer Richtung Nordwesten.

l’Isle-sur-la-Sorgue ist ein ehemaliges Fischerdorf an der Sorge und ihren vielen Seitenarmen.

Noch heute erzählen alte Schaufelräder von der Energiegewinnung im letzten Jahrtausend.

Wir entdecken die ganze Welt in einem leeren Gartenlokal – hier muss es im Sommer laut zugehen. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, überfluten weniger Touristen den bekannten Trödel-Ort.

In der Altstadt sind Gässchen und Kanäle ineinander verflochten.

Man findet Treppen, die zu Waschplätzen am Fluss führen. Schon habe ich einen Film vor Augen, Waschfrauen, im vorletzten Jahrhundert.
Eigentlich sollte man sich Zeit nehmen und mit Aquarellfarben dieses Wasser malen! Eigentlich… 🙂

Van Gogh hat das Wasser und Waschfrauen so gesehen.

Nicht nur in der Altstadt, auch rund um den alten Stadtkern herum findet man über 300 Antiquitäten-Shops und Trödelmärkte, die ganzjährig geöffnet sind. Professionell geführte Antiquitäten-Warenhäuser!

Manchmal führen hässliche Durchfahrten mit Kronleuchtern in Hinterhöfe, wo es einiges zu entdecken gibt.

Zu den grossen Messen an Ostern und am 15. August sind es fünfhundert Aussteller, die Tausende Liebhaber von Trödelwaren auch aus dem Ausland anziehen.
Diese Grossanlässe und Brocante-Grossisten sind aber nicht mein Ding.

Ich mag einen Mix von alten Dingen, Klamotten und frischen Produkten.

An solchen Ständen treffen sich die Einheimischen und man denkt bereits ans Kochen am Abend.

Apropos kochen – die ideale Kombination: Französische Küche und französische Brocantes. Murielle Rousseau hat beides gemeinsam zwischen zwei Buchdeckel gebracht. Mehr dazu am Schluss des Blogbeitrages.

Detaillierte Beschreibungen und Pflegetipps machen aus Laien Brocante-Profis.

Die kleinen Brücken zu den Häusern und das ruhig dahinfliessende Wasser sind typisch für L’Isle-sur-la-Sorgue.

Es herrscht eine friedliche Stimmung, auch die Händler haben Zeit, miteinander zu plaudern und sich ab und zu ein “wärmendes” Getränk zu genehmigen.

Es ist typisch für Frankreich, dass man immer wieder Erinnerungen an die beiden Weltkriege entdeckt. Hier ist es der Strassenname “Allée du 18. Juin 1940”. Was geschah damals, im zweiten Kriegsjahr. Ich will es wissen. Im Juni 1940, meine Eltern waren damals 26 und 22 Jahre alt, verbündete sich Italien mit Nazi-Deutschland und fiel Frankreich quasi in den Rücken.

In den Alpen standen die 190 000 Männer von General Olry den etwa 450 000 Italienern gegenüber. Die französischen Streitkräfte hatten längst begonnen, die “Maginot-Linie der Alpen”, den “Vallo Alpino” aufzubauen.
Die Italiener, zahlenmässig zwar überlegen, aber schlecht ausgebildet, mittelmässig ausgerüstet und nicht sehr motiviert, zählten auf das Eintreffen der deutschen Truppen, die mit grosser Geschwindigkeit in Richtung Süden vordrangen. Am 16. Juni erreichten die Deutschen Langres und Dijon.

Am 18. Juni 1940, verkündete ein unbekannter französischer General seinen Landsleuten mit Genehmigung von Churchill aus London, dass Frankreich nicht besiegt sei: Charles de Gaulle.

Am 22. und 24. Juni wurden die Waffenstillstandsabkommen mit Deutschland und Italien von Frankreich unterzeichnet. Das Feuer wurde am 25. Juni eingestellt, aber erst Anfang Juli gaben die letzten Garnisonen der Maginot-Linie den Kampf auf. Trotz ihrer begrenzten Mittel in ihrem Kampf gegen zwei Fronten gelang es der legendären Alpenarmee, die 400 km lange Grenze siegreich zu verteidigen, indem sie ihre Devise “Niemand kommt hier durch” anwendete. Indem sie die Italiener an der Grenze aufhielten und den Vormarsch der Deutschen verlangsamten, konnten sie vermeiden, dass das nationale Territorium vollständig besetzt wurde.

Ein französischer Philosoph schrieb: “Auch wenn de Gaulles Appell das Gesicht der Welt nicht verändert hat, so hat dank ihm immerhin Frankreich das seine gewahrt.“

Immer mal wieder realisiere ich, wie wenig ich von der Geschichte weiss, von Zeiten, die meine Eltern in jungen Jahren erlebt haben. Wie hat man sich 1940 in der Schweiz gefühlt, als sich der nördliche und der südliche Nachbar zusammentaten?

Die Franzosen hatten Nationalstolz – ich muss lachen, als ich Kochlöffel in den Farben der Trikolore entdecke.

Jeanne d’Arc steht auch auf dem Flohmarkt herum und sogar ein Gewehr könnte man erstehen.

Generell herrscht Friede und man findet mehr Engel als Zeugen von Krieg und Gewalt.

Etwas lieblos sind Santons präsentiert – sind sie aus der Mode gekommen? Vielleicht haben auch hier die dicken, amerikanischen, roten Hohoho-Weihnachtsmänner das Adventszepter übernommen.

Liebevoll ist hingegen das Silberbesteck präsentiert.

Ich gehöre zur Generation, die zu Weihnachten und Geburtstag eine Gabel, einen Löffel oder ein Messer geschenkt bekam. Wie ich es hasste. Aussteuer! Wozu? Ich nehme mir aber vor, mein Silberbesteck mal gemütlich an einem Abend zu reinigen. Am liebsten mit einer Freundin, dazu schlemmen und plaudern.Wie man das macht, finde ich in meinem neuen Buch.

Ich bin Fan von altem Leinen, Spitzen und Hohlsaum.

Ich nehme mir vor, alle meine Habe in Truhen und Schränken mal zu waschen und zu bügeln.

Glaswaren und alte Giesskann haben es mir angetan.

Buchautorin Murielle Rousseau inspiriert. Doch auf die Idee mit der Glasglockensammlung bin ich auch längst gekommen.

Alte Koffer bergen Geschichten.

Das waren noch Zeiten, als man alle drei Jahre neue, individuelle Schuhschäfte herstellt, weil sich die Füsse mit zunehmendem Alter verändern. Meine auch 🙁

Ein solch grosser Markt zieht bestimmt auch Taschendieben an. Der Polizeiposten ist gut getarnt.

An einer Brocante findet man unterschiedlichste Dinge. Auch Kitsch!

Der warm eingepackte Hund steht aber nicht zum Verkauf.

Auch nicht die Katze im Antiquitätenladen.

Aber Butter- und Blumentöpfe en masse.

Diese Zapfen finde ich wunderschön, aber sie sind unglaublich schwer.

Elisabeth kaufte sich einen in einer nahen Brocante, die wir immer zusammen besuchen, wenn ich in Südfrankreich bin.

Die Geschäfte sind offen und wir schlendern shoppend zum Platz vor der Kirche.

Bei der Kirche degustieren wir unterschiedlichste Marronipürees.

Und ein Besuch bei Lilamand, wo Elisabeth kandierte Ingwer und ich kandierte Orangen kaufen, gehört zu L’Isle sur la Sorgue.

Noch hängen Oliven an den Bäumen und Fenster spiegeln sich in Fenstern.

Am und neben dem Markt kann man viele poetische Geschichten sehen – wenn man will.

Solche Tafeln werden mich weiterhin anziehen – wie ein Honigtopf eine alte Bärin.

Ich werde weiterin stehen bleiben, wenn Antiquitäten aus den Läden auf die Strasse herausquellen.

Und ich werde Elisabeth weiterhin Fundstücke mitbringen – wie den Apéro-Rolls Royce, mit dem man meine Lieblingsmahlzeit, Apéro, überall im Garten servieren kann.
Er hat Elisabeths Familie und Freunde schon durch schöne Abende begleitet, nachdem er aus dem Trödelschatten ans Licht geholt wurde.

Elisabeth kocht auch gut.

Bei meinem nächsten Besuch in Südfrankreich im Frühling werde ich das Buch von Murielle Rousseau mitnehmen. Wir werden eine Brocante-Tour machen und all die tollen Rezepte aus dem Buch nachkochen.
Wie schön ist es doch, in der kalten Jahreszeit bereits Pläne für den Frühling zu haben!

Gäbe es kein Neues, so würde kein Altes.

Meister Eckhart, 1260 – 1327

 

Die fabelhafte Welt der französischen Flohmärkte
In diesem Buch entführt uns die bekannte Kochbuchautorin und Kennerin des französischen “art de vivre” Murielle Rousseau in die fabelhafte Welt der französischen Flohmärkte, gibt Einblicke in die Welt der “brocanteurs” und präsentiert einzigartige Flohmarktfunde und deren Geschichte. Typisch französische Gerichte, wundervoll auf altem Geschirr und Silber arrangiert und von Marie Preaud in einmaligen Bildern festgehalten, zeigen die kulinarische Seite der “brocante”. Der Flohmarkt-Guide mit Adressverzeichnis zum Heraustrennen lädt zum Selbsterkunden der Flohmärkte ein!

Informationen zur Region L’Isle du Sorgue, inkl. Gordes
Mein Dank geht an Susanne Zürn-Seiller von tourisme provence-alpes-côte d’azur und Vaucluse Tourisme, die mir immer wieder neue Vorschläge für Entdeckungsreisen in Südfrankreich macht. “A bientôt, Susanne!”
Und an Elisabeth, Freundin und wunderbare Gastgeberin in Frankreich und im Wallis.

Musik
Kathrina hat mir eine CD geschenkt: Joël Magneron
Hier kann man ihn in L’Isle sur la Sorgue hören.
Sie hat auch den Strassenmusiker Chris Simmance auf dem Markt gehört.
Danke Kathrina!

Edith Piaf
Musette Tanzmusik
Brocante de Chansons

Webseiten von zwei Kolleginnen, die alte Sachen ebenso lieben:
Susanna
Gaby

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  1. Kathrina

    Ja welche Überraschung am Sonntagmorgen! Genau der richtige Tag, wo jeweils der brocante stattfindet. Gluschtig und ganz live beschrieben, sind wir doch vor einem Monat hier herumflaniert!
    un grand merci!
    Kathrina

  2. Elfi

    Nun, du entführst wirklich in eine andere Welt! Auch farblich superb.

  3. ritanna

    WoW, es ist eine so einmalige Gelegenheit mit Dir Regula auf Reisen zu gehen, zu entdecken, zu schnüffeln und die Wunderwelt in kleinen Ecken, Gässchen, Fenstern und Plätzen zu erspüren; nochmals in die Geschichte einzutauchen, die ja auch unsere Geschichte ausmacht.
    Vielen Dank. Ich freue mich weiterhin auf Reisen, Ideenvolle Zusammenstellung von Dir mit genommen zu werden.

  4. Zineta

    Leibe Regula danke für die führung durch flöhmarckt ich häte auch gerne mit gegangen. Liebe grüss zineta.

  5. Edda Neitz

    Liebe Regula,
    mit der Geschichte über das Flohmarktdorf hast du bei mir wieder einen Nerv getroffen. Denn Stöbern auf den Flohmarkt ist auch meine Leidenschaft. Auch der Buchtipp hört sich interessant an . Da ich an der Grenze zu Belgien wohne, habe ich es nicht weit zu solchen brocante :-))

  6. Rita

    Liebe Regula
    Ja die französischen Flohmärkte haben es in sich!
    Mir hatten es damals besonders die alten Wasserräder angetan. Flohmarkt war gerade nicht.
    Dein Blog ist wieder interassent, nicht nur, weil ich auch schon dort war!
    Liebe Grüsse
    Rita

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