In Thüringen im Herzen Deutschlands findet man eine vielfältige Kulturlandschaft.
Zahlreiche Komponisten wie die Familie Bach, F. Liszt, R. Strauss, M. Reger, Dichter wie Goethe, Schiller, Herder, Wieland, Ludwig, Storm und Künstler wie Lucas Cranach der Ältere oder Otto Dix haben hier gewirkt.
Insbesondere in den 1920er Jahren zog das Bauhaus in Weimar Maler wie Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Johannes Itten und Oskar Schlemmer sowie Architekten wie Walter Gropius, Henry van de Velde und Ludwig Mies van der Rohe nach Thüringen.
Mit rund 2,2 Millionen Einwohnern und einer Fläche von rund 16.000 Quadratkilometern gehört es zu den kleineren Ländern der Bundesrepublik, doch nirgendwo sonst scheint Kultur so allgegenwärtig zu sein.
Meine Reise führte von Erfurt über Meinigen und Gotha nach Weimar. In Erfurt besuchte ich die Oper “Carmen” im Rahmen der DomStufen-Festspiele, in Gotha im Ekhof-Theater die Barock-Oper “Marc’Antonio e Cleopatra” von Johann Adolph Hasse und in Weimar die Première einer provokativen Inszenierung von Shakespeares “Macbeth”.
Erfurt scheint von Theater durchwoben zu sein. Die Hauptstadt Thüringens ist stolz auf ihr Theater im Brühl, zu dem auch das Philharmonische Orchester Erfurt gehört. Es führt jährlich rund 250 Veranstaltungen durch, auch jedes Jahr die Domstufen-Festspiele.
Es finden sich in Erfurt zudem viele kleinere Theater, insbesondere auch zwei Puppentheater.
Der Besuch in der Werkstatt des Puppenbauers, Bühnenbildners und Mechanikus Martin Gobsch auf der Krämerbrücke war beeindruckend.
Besonders gefallen haben mir die vielen Skizzen.
Er erklärte uns, wie er mit dem Holz arbeitet.
Wahrscheinlich ist es mit dem Puppenschnitzen wie mit dem Schreiben: Man kann sich nicht nicht miteinbringen.
Ich wäre gerne länger auf der Krämerbrücke in der Werkstatt geblieben.Auf dieser Brücke lebt, wohnt und flaniert man, denn es ist eine Häuserzeile, unter der Wasser durchfliesst.
An diesem heissen Sommertag zog das Wasser Erwachsene und Kinder an.
Viele wateten durch die Furt vor der Brücke. Die 680 Jahre alte Krämerbrücke ist mit 32 Häusern die längste bebaute Brücke nördlich der Alpen.
Hier muss es im Mittelalter fürchterlich gestunken haben. Er-Furt setzt sich aus Er, von “Erphe”, was dreckiges Wasser bedeutet, und aus “Furt” zusammen.
In der Siedlung an der Furt über die Gera gedieh die Waidpflanze, aus deren Blättern man durch ausgiebiges Bearbeiten im fliessenden Gewässer einen blauen Farbstoff gewann. Um das wertvolle färbende Pulver herzustellen, musste die Pflanzenmasse ein halbes Jahr lang in Männerurin gären.
Immer wieder überquert man einen der vielen Nebenzweige der Gera.
Mancherorts mutet die Stadt fast idyllisch-ländlich an.
Nicht nur die Krämerbrücke strahlt mittelalterlichen Charme aus.
Erfurt wurde im Krieg weitgehend von Bombentreffern verschont und in der DDR-Zeit wurde kaum etwas abgerissen.
Noch sieht man an den Hausfassaden Löcher, in die Stroh gesteckt wurde, als Zeichen, dass in diesem Hause frisches Bier gebraut worden war. Die Haltbarkeit von Bier war damals viel kürzer.
In Erfurt kreuzten sich die Handelswege Kiew-Paris und Oslo-Verona. Das brachte zusätzlichen Reichtum, aber auch Einflüsse in Architektur, Literatur, Musik und bildender Kunst.
Die Erfurter waren sehr clever. Jeder durchreisende Händler war gezwungen, seine Waren zwei Tage lang zum Verkauf anzubieten. Der Markt lockte Kauflustige aus der ganzen Region an.
Luther hatte In Erfurt sein Studium der freien Künste begonnen. Später predigte er hier – lange vor seiner Zeit in Wittenberg. Erfurt gehörte damals aber zum Bistum Mainz – und musste katholisch bleiben. Die aufgeschlosseneren Universitätsstädte Jena und Weimar überflügelten deshalb Erfurt als geistige Zentren.
Beeindruckend sind diese Kirchenfenster. Sie wurden kurz nach Kriegsende aus Scherben von zerstörten Kirchen neu zusammengesetzt.
Auf dem Hügel über dem Domplatz stehen gleich zwei mächtige Kirchen.
Die Freitreppe, die in 70 Stufen zu den Gotteshäusern emporführt, wird im Sommer in eine Openair-Bühne verwandelt.
Zum 25-Jahre Jubiläum wurde Carmen gespielt. Statt Zigarrenfabrik Auto-Schrotthalde, Stierkämpfer Escamillo fuhr mit seinem Pick-up die halbe Domtreppe hoch und die verführerische und freiheitsliebende Zigeunerin Carmen hauste in einem Wohnwagen.
Befremdend entfremdet, aber irgendwie stimmig und die Musik war wirklich traumhaft.
2019 kommt auf den DomStufen das Musical “Der Name der Rose” nach dem Roman von Umberto Eco zur Aufführung.
Fazit: Erfurt ist eine zugleich offene, moderne, pulsierende als auch eine beschauliche Stadt mit viel Wasser und vielen historischen Gebäuden.
Nächste Station war die Theaterstadt Meiningen.
Im Theatermuseum genossen wir eine Führung unter dem Titel “Zauberwelt der Kulisse”.
Hier lernten wir nicht nur viel über die raffinierte Bühnentechnik, sondern machten auch Bekanntschaft mit Herzog Georg II (1826 bis 1914).
Der Mann aus dem Hochadel war Theaterleiter, Regisseur, Bühnenbildner, Kostümentwerfer, Intendant und Kulturpolitiker. Er trug auch das finanzielle Risiko seines Theaters, das von 1874 bis 1890 zusätzlich in Berlin, Wien, Moskau, London und in vielen weiteren Städten Europas gastierte.
Das Meiniger Theater und die Meiniger Hofkapelle gelangte unter dem volksnahen Regenten zu Weltruf. Zu seinen Freunden zählten Hans von Bülow und Johannes Brahms.
Nicht nur die Bereiche Kunst und Kultur machten eine beeindruckende Entwicklung, auch mit seiner humanistischen Lebenseinstellung und liberalen Reformen prägte er seine Zeit.
Sein Lebensweg und -werk wäre ein ganzer Blogbeitrag wert.
Auch heutige Schauspieler engagieren sich für das Meininger Theater.
Das Leben des Theaterfürsten brachte uns Maren Goltz im Schloss Elisabethenburg auf eindrückliche Weise näher.
Wir sassen auf den Holzbänken aus einem Eisenbahnwagon, drückten begeistert auf Knöpfe und rieten wie Kinder aufgrund akustischer Fragmente, wer unsere Mitreisenden waren: Hunde, Hühner, Gänse… Zugleich erfuhren wir viel über die Reisen des Herzogs.
Wenn man sich das Reisen in Kutschen vorstellt, ist man erstaunt, wohin Georg II reiste – und fragt sich, wie wohl die ganze Theatertruppe gereist ist. Die aus 70 bis 80 Personen bestehende Reisegesellschaft führte 15 bis 20 Waggons voller Dekorationen, Requisiten und Kostüme mit sich.
Die Ausstelllungen in Schloss Elisabethenburg überzeugen museumsdidaktisch.
Im Saal mit den Musikinstrumenten erklingt Musik. Nähert man sich einem Fenster mit einer Gattung Musikinstrumente, hört man diese deutlicher als alle anderen. So kann man aktiv ergründen, wie sich Klänge zusammensetzen.
Im Schloss durchschreitet man herrliche Wohnräume.
Hier kann man sich gut vorstellen, Kammerkonzerte zu hören.
Die unterschiedlichsten Fenster faszinieren mich.
Und beim Treppenhaus hob ich einfach ab.
Nun aber weiter im Theater-Text, auf nach Gotha.
Das Ekhof-Theater auf Schloss Friedenstein ist das älteste barocke Theater der Welt mit weitgehend erhaltener Bühnenmaschinerie aus dem 17. Jahrhundert.
Die hölzerne Kulissenbühne und die damals hochmoderne Schnellverwandlungsmaschine erlauben es, in weniger als acht Sekunden das Bühnenbild zu wechseln.
Oben auf der Bühne wird Theater gespielt, unter der Bühne im engen Keller sorgen “Kulissenschieber” dafür, dass das Bühnenbild schnell wechselt.
Handys sind für Kulissenschieber nicht erlaubt, aber sie dürfen in den langen Wartezeiten Karten spielen. Es ertönt ein Glockenton, wenn sie die Kulissen wechseln müssen.
Die “Gassen” zwischen den Bühnenelementen sorgen für Tiefe des Bühnenbildes.
Von der Bühne her bietet sich dieses Bild.
Auch von oben können die Kulissenelemente mittels Winden und Seilen bewegt werden.
Die raffinierte Mechanik umfasst auch eine Windmaschine.
Diese Kugeln werden durch einen langen hölzernen Donnerschacht fallen gelassen. So kann man Donner “dosieren”.
Früher stülpte man farbige Glasröhren über die Kerzen, um unterschiedliche Stimmung zu erreichen, heute gibt es eine raffinierte Lichtregie.
Alles muss minuziös vorbereitet sein, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren.
Selbst die Requisiten liegen frühzeitig bereit.
Abends sassen wir dann mit rund 150 weiteren Personen im Zuschauerraum und genössen die Barock-Oper Marc Anton und Kleopatra von Johann Adolph Hasse. Zwei junge Sängerinnen brachten eine hervorragende Leistung.
Der Kulissenwechsel vollzog sich pannenfrei – es hat nicht mal gequietscht, als alle Kulissenteile an den richtigen Ort manipuliert wurden.
Am anderen Morgen sahen wir uns einen anderen Teil des Schlosses Friedenstein an.
Wir durchwanderten endlos herrliche Säle, es gibt hunderte Fotos, am besten schaut Ihr Euch das Schloss selber an.
Ich habe mich mal nur auf die Leuchter konzentriert.
Plötzlich hat man nur noch ein Auge für Lampen.
Man könnte sich auch auf Stuckatur oder andere dekorative Elemente konzentrieren.
Oder auf Spiegel.
Ein Teil des Schlosses beherbergt ein Theatermuseum. Da stellt sich dann die Frage, was das obige Bild darstellt. (Muschelabdeckung für Souffleuse)
Gegenüber dem Schloss befindet sich das Herzogliche Museum.
Heilige Hallen mit erlesenen Kunstwerken.
Und wieder ein Treppenhaus, das mich herausfordert.
In Weimar stand dann das Bauhaus im Zentrum. Das neue Museum ist im Bau.
Das Staatliche Bauhaus wurde 1919 in Weimar von Walter Gropius als Kunstschule gegründet. das Konzept bestand darin, Kunst und Handwerk zusammenzuführen. Die Bauhaus-Bewegung beeinflusste die Bereiche Architektur, Kunst und Design prägend für das 20. Jahrhundert.
Das Bauhaus bestand von 1919 bis 1933. Es gilt weltweit als Geburtsort der Avantgarde der Klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst und Architektur. Die Ausstrahlung des Bauhauses prägt bis heute das Bild modernistischer Strömungen.
In Weimar fühlt man sich oft in die Zeit Goethes zurückversetzt. Er ist allgegenwärtig. Hier hat er jahrzehntelang Hof gehalten und Künstler aus der ganzen Welt um sich versammelt.
Schiller, Wieland, Herder und Liszt beispielsweise – und viele andere. Mit dem Tod Goethes 1832 endete die Weimarer Klassik.
Touristenströme ziehen wie Ameisenstrassen zu Goethes Gartenhaus.
Weimar möchte ich im November, Januar oder Februar besuchen, wenn es den Bewohnern gehört. Dann muss es sehr beschaulich sein.
Dann würde ich bei weniger Hitze durch die Stadt flanieren…
… und die Porzellanglocken vom Kirchturm hören.
Und ich würde die Amaliea Bibliothek besuchen.
Dann würde ich mehr erfahren wollen zu Weimar während der Nazi-Zeit, als für Hitler am Hotel Elephant eigens ein Balkon angebaut wurde.
Weimar ist eine Stadt mit vielen Gesichtern, wenn man Zeit hat, sich darauf einzulassen. Auch solche Gebäude findet man in der Innenstadt, die sich klar abheben vom Deutschen Nationaltheater DNT, vor dem Menschen aus der ganzen Welt Selfies mit Goethe und Schiller machen. Das DNT gehört zu den geschichtsträchtigsten Theatern Deutschlands und beherbergt neben einem hervorragenden Schauspiel- und Musiktheaterensemble mit der Staatskapelle Weimar eines der ältesten Orchester Deutschlands.
2008 wurden das Deutsche Nationaltheater und die Staatskapelle Weimar zum Staatstheater Thüringen ernannt.
Es war immer wieder ein Ort künstlerischer und politischer Entwicklungen zwischen Avantgarde und Traditionspflege, humanistischen Idealen und ihrem Verrat an propagandistische Zwecke, Sparzwängen und Selbstbehauptungswillen.
Tradition des Staatstheaters Thüringen ist offensichtlich, die Zuschauerinnen und Zuhörer zu motivieren, sich mit Neuem, auch Provokativem auseinanderzusetzen. Ich durfte die Premiere von Shakespeares Macbeth erleben – und landete in einem Wechselbad zwischen Faszination und Bewunderung der schauspielerischen Leistungen und anderseits Abwehr und nicht verstehen können.
Vier Tage Thüringen mit Schwerpunkt Musik und Theater, inklusive An- und Rückreise: Es bleiben viele Eindrücke, die den Bogen von Vergangenheit bis in die Gegenwart spannen.Viele Aspekte des Kulturlebens dieser Region wurden in den Fokus gerückt. Fazit: Ich möchte wieder hin, nächstes Jahr im November. Dann möchte ich mir viel Zeit nehmen, tiefer zu ergründen, mehr zu erfahren und einfach zu SEIN.
Das Theater ist die tätige Reflexion des Menschen über sich selbst.
Novalis (1772 – 1801)
Informationen
Thüringen-entdecken
Erfurt Tourismus
DomStufen Festspiele
Meininger Museen
Ekhof Theater
Schloss Friedenstein
Weimar
Musik
Bizet ist einer meiner Lieblingskomponisten. Schon früh habe ich Schallplatten mit verschiedenen Carmen-Werken gesammelt.
Carmen Oper, Bizet
Carmen Ballett, Bizet-Shchedrin
Carmen Suiten 1 und 2, Bizet
Carmen Fantasie David Garrett
Perlman plays Sarasate – Carmen Fantasy
Vladimir Horowitz – Variation on a theme of Bizet’s – Carmen
Carmen Film
J.A. Hasse – Marc’Antonio e Cleopatra
Buchtipp
Aus diesem Buch habe ich einmal ein ganzes Menu für einen Goethe-Fan gekocht. Kulinarisch ist Thüringen auch eine Reise wert.
Zu Gast bei Goethe
Dank
Ich danke Katherine Rolli für die Einladung zu dieser Reise, Kerstin Neumann und Barbara Ermrich von Thüringen-entdecken, Yvonne Kornhaass von Erfurt Tourismus und Uta Kühne von Weimar Tourismus für die Organisation und Begleitung. Maren Goltz, Marco Karthe und weiteren sachkundigen Experten danke ich für die interessanten Ausführungen.
Elfi
Du hast wirklich die Fähigkeit und die Begeisterung, uns mit zu nehmen in neue Welten, von denen wir zwar schon oft gehört und gelesen haben – doch lebendig erscheinen lässt du sie, liebe Regula.
ritanna
Träumerisch, faszinierend, idyllisch und Neugierde herausfordernd ist Dein Theater-Städte-Schlösser Rapport.
Bisher kannte ich nur die bewohnte Brücke in Florenz. Ponte vecchia.
Du bringst in vier Tagen so vieles sehens-, und erlebens -Wertes zusammen, wozu ich ein Jahr brauchen würde um aufzunehmen, verarbeiten und immer und immer wieder mich damit zu beschäftigen.
Da verstehe ich die Künstler, Musiker, Schriftsteller und viele mehr, Geniesser, warum sie die Zeit benötigten in einer der Städte zu weilen, um künstlerisch tätig zu werden und zu “sein”.
Dieser Bilder-Rapport spricht so vieles in mir an.
Ich nehme mir Zeit zu verdauen. Wie umsomehr Zeit bleibt zur Besichtigung.
Einfach herrlich. Danke.
Carmen Cabert
Es ist spannend mit dir zu reisen, manchmal vergesse ich das ich “nur” virtuell reise. Danke, herzelig, Carmen.
Esther Haller-Ofner
Liebe Cousine
Eine Woche später als du , bin ich mit den Nähfrauen nach Erfurt und Weimar. Du hast mich kurz gebrieft, bevor ich losfuhr. Danke dafür.
Und jetzt kann ich nochmals mit dir nachschwelgen 🙂
Es ist wirklich eine Reise wert.
Aber so viele Informationen, wie du dann in deinen blog verarbeitest, chapeau cousine, du bist einfach eine Wucht!
Umarmung und Danke für dein Vor-Reisen
Esther