Hortensien-eigentlich-Tag

Eigentlich-Tage sind Tage, an denen ich genau weiss, was ich tun sollte: Heute einen Artikel schreiben, putzen und im Garten arbeiten. Eigentlich.
Aber ich weiss, dass mir heute ein kreativer Nachmittag guttut. Ich darf!

Eigentlich-Tage sind Tage, an denen ich lustvoll NICHT tue, was ich eigentlich tun sollte.

Ich hatte vorgestern im Garten Hortensienblüten abgeschnitten.

Ich lasse Musik durch mein kleines Hexenhaus schallen, nehme den Korb mit den Hortensien, um mit dem Fotoapparat Motive zu suchen. Keine Foto ohne Hortensie!

Pro forma kommt auch ein Staublappen mit. 

Ich hänge meine Gartentasche um und beginne zu sammeln.

Bereits die Suche nach Hortensienblüten im Garten macht Freude.

Ich wusste gar nicht, dass ich in meinem kleinen Garten so viele Hortensien habe.
Sofie schläft bereits auf der Gartenbank. Sie findet grundsätzlich Mäuse interessanter als Hortensien.

Der volle Korb allein schon löst Glücksgefühle aus.

Auf dem Steg am Teich trocknen die Hortensien.

Ich beginne im obersten Stock nach Motiven zu suchen – und finde, ein Glas eiskalten Rosé passt zu diesem sonnigen Eigentlich-Nachmittag.

Selbst ein simpler Schnurknäuel wird zu einer Schönheit.

Dass die Hortensien echt sind, beweist die Schnecke, die ich schnell in die Freiheit entlasse.

Während ich Dinge dekorativ hin drapiere und eine riesige Unordnung veranstalte, wird mir bewusst, dass ich mich für viele Dinge begeistern kann. Begeisterungsfähigkeit ist ein wichtiges Lebenselixier.

Ich nähe gern und sammle allerlei Nähutensilien. Beispielsweise Spitzen und Knöpfe, aber auch alte Stoffe wie Leintücher.

Ich mag auch Vögel und füttere sie das ganze Jahr in meinem Vogelkiosk.

Teddybären mit Seele liebe ich. So habe ich meinen Teddybären aus Kinderzeiten noch, er wirkt etwas wie ein Lepra-Bär, ich habe ihn ziemlich kaputt geliebt.

Diese kecke Bärendame mag ich besonders. Ihren Kopf kann man mittels des unter dem Röcklein versteckten Schwänzchens in alle Richtungen bewegen. Sogar die Katze ist entsetzt weggerannt, als ihr dies erstmals demonstriert habe.

Der alte Kochherd ist ein wunderbares Spielzeug. Bereits drei Generationen haben damit gekocht. Metatabletten brauchte es damals, um den Herd zu erwärmen.

Und auch die alte Pendule, die nicht mehr richtig tickt, gewinnt mit Hortensien.

Ich zeichne und male gern. Hortensien und Malutensilien passen wunderbar zusammen. Vielleicht sollte ich mal versuchen, eine Blüte zu aquarellieren.

In einer Lebensphase habe ich mal Hausbüchsen aus aller Welt gesammelt.

Von jeder Reise kehrte ich mit Hausbüchsen im Koffer heim.

Häuser implizieren Geborgenheit, es ist schön, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Jede Büchse erzählt eine Geschichte.

Die Paddington-Bär und Bloomingdale’s sind aus England.

Besonders mag ich Hausbüchsen mit Innenleben.

Ich gehöre zu einer Generation, die noch mit Feder und Tinte schreiben lernte.
Ich hatte immer schlechte Schreibnoten, während des Lehrerseminars habe ich aber Kalligrafie geliebt.

Manchmal traure ich der Zeit nach, als man noch handgeschrieben Briefe in den Briefkasten steckte und die Geduld aufbringen musste, zwei bis drei Tage auf Antworten zu warten.

Mein Hortensiennachmittag geht langsam zu Ende, während Maler Natur den Himmel vor meinem Fenster besonders schön färbt.
Hätte ich das gemalt, würde man wohl von Kitsch sprechen.

Mein Eigentlich-Nachmittag reichte nur für Hortensien im obersten Stock.
Da Hortensien auch getrocknet schön aussehen, mache ich in nächster Zeit wieder einen Hortensien-eigentlich-Tag – im mittleren Stock.

Blaue Hortensie
So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rau,
hinter den Blütendolden,die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.
Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau.
Verwaschnes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.
Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuern
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

 

Musik
Beim alten Kochherd erinnerte ich mich an die Kinderszenen von Robert Schumann. Mit gefällt die Interpretation von Martha Argerich besonders.

Buchtipp
Faszination Hortensien

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Zeesenbootskipperin auf Usedom

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Eine Nacht in der Kartause Ittingen

  1. Mary

    Im Herzen hab ich den Nachmittag mit Dir verbracht <3

    • Regula Zellweger

      Ja, bestimmt erkennst Du viel auf den Bildern. Besonders den handgeschriebenen Brief.
      Weisst Du noch?
      Viele schöne gemeinsame Geschichten, Danke, dass es Dich gibt.

  2. Susanne

    Liebe Regula,
    immer wenn ich solche Geschichten lese, wie die, die oben steht, muss ich an Ende wohlig seufzen…und gleich darauf über mich selbst lächeln. Du gönnst Dir einen «ich tue NICHT, was ich eigentlich sollte»-Nachmittag so lustvoll und nachhaltig, dass ich auch etwas davon habe… 🙂
    Was wollen wir denn mehr?
    Schön, dass es DICH gibt…und diesen Blog!
    Herzlich

  3. Mara

    Ja, diese “eigentlich sollte ich Tage” kenne ich auch gut ;-)) …
    und oft sind gerade sie , mit ihren spontanen und umstürzlerischen Ideen, die kreativsten Tage!
    Einmal mehr ein wunderschöner Blog liebe Regula!

    • Regula Zellweger

      Eigentlich-Tage müsste man sich “eigentlich” viel öfter gönnen. Und umstürzlerische Ideen gefallen mir sowieso. Pfeffer im Leben:-)

  4. Martina Amato

    Liebe Regula

    Ich liebe Hortensien 😊 Und schätze mich glücklich, in der Casa Ortensia wohnen zu dürfen http://www.casaortensia.ch Eigentlich Tage sollte ich viel mehr machen, was mit Kinder, dieses Wochenende gerade wieder 4 😉, schwieriger ist.

    Tolle Bilder und ich konnte wenigstens ein wenig mit dir in eine andere Welt eintauchen.

    Cari saluti
    Martina

    • Regula Zellweger

      Danke, liebe Martina

      Dein Hortensienhaus ist wirklich schön! Gratulation auch zu Deinem Buch!

      Herzlich
      Regula

  5. Ritanna

    Eigentlich mache ich nur solche Tage; es kommt ganz anders als man denkt.
    Und schon ist ein herrlicher Tag noch in Gedanken vorhanden.

  6. Esther Haller-Ofner

    Liebe Cousine

    einfach schön, deine Impressionen mit Hortensien.
    Apropos Pendulen, sollte unsere Pendule von Zuhause früher bekommen. Meine Schwester will sie nicht mehr horten.
    Gehen wir mit unseren Uhren zum Uhrenmacher, wenn ich meine habe?
    Damit sie wieder fit sind für den nächsten Lebensabschnitt? : – )
    liebe Grüsse Esther

  7. Mary

    Immernoch wunderbar 💜

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