Rika Harder ist ein freiheits- und naturliebender Mensch. Sie hat sich ihr Leben so eingerichtet, dass es für sie stimmt.
Sie segelt mit einem alten, liebevoll restaurierten Zeesenboot mit Touristen auf den Gewässern um Usedom.
Zeesenboote erinnern mich an die frühromantischen Gemälde von Caspar David Friedrich, der im westlich von Usedom gelegenen Greifswald zur Welt kam und dessen Bild «Kreidefelsen auf Rügen» bekannt ist.
Dieses Bild ist im Museum Oskar Reinhart in Winterthur zu bestaunen.
Hier laufen viele Fischerboote am Morgen zum Fischfang aus.
Heute werden die alten, für die Ostsee typischen Segelboote, die beim Schleppen der Netze seitwärts fahren, nicht mehr für die Fischerei benutzt. Die Zeese ist ein Grundschleppnetz, daher der Name des Schiffes. Die bis zu 25 Meter langen Netze wurden durch die weit über Bug und Heck herausragenden Driftbäumen offengehalten und über den Grund gezogen. Dazu wurden unten Lochsteine befestigt, oben wurden Schwimmkörper, damals aus Kork, angebracht. Die Fischer liessen das Zeesenboot bei gesetztem Segel quer vor dem Wind treiben.
Typisch sind die braunen Segel. Der Segelstoff wurde mit einem Gemisch aus Eichenrinde, Ockererde, Rindertalg und Leinöl imprägniert.
Bereits 1449 wurde der “Zeeskahn” in der Stralsunder Chronik erwähnt, 1681 findet sich der Begriff Zeesen in einer Fischerordnung. Um 1850 sah man diese Boote auch in dänischen Gewässern. Ab 1890 werden die Boote mit einem Mittelschwert versehen.
Zurück zu Rika und meiner Fahrt mit dem Zeesenboot.
Ich sollte Rika im Hafen von Krummin treffen.
Mein GPS brachte mich auf eine endlose Strasse im Schilf, die nur aus zwei Steinplattenstreifen bestand. Keine Chance zum Wenden oder Rückwärtsfahren. Ich schwitze über gefühlte 10 Kilometer rund um eine riesige Bucht herum -realistisch betrachtet zwei Kilometer – Blut, bis ich endlich wieder in bewohnte Gegenden kam. Mein klitzekleines, gemietetes Fiat-Cabriolet war zum Glück nicht in der Mitte der «Strasse» aufgefahren – ich hatte mich schon “in the middle of nowhere” mit vier Rädern in der Luft gesehen.
Krummin hat eine bemerkenswerte Kirche und einen keinen, sehr gepflegten Hafen.
Hier kam mir Rika entgegen.
In knallroten Flipflops! Als Binnenländerin konnte ich mir nicht vorstellen, dass dieses Schuhwerk optimal fürs Segeln sein kann. Es passt aber zu Rika und ihrem Freiheitsdrang.
Kreidebleich erzählte ich ihr von der endlosen «Steingleisstrasse». Sie lachte ihr typisches Rika-Lachen und der Begriff wurde zum Running Gag an diesem Nachmittag.
Schliesslich legte Rika ab und wir segelten los.
Wir vier, Rika und drei Passagierinnen, verstanden uns auf Anhieb.
Martina, eine Architektin aus Berlin und versierte Seglerin, übernahm mit grosser Selbstverständlichkeit Matrosendienste.
Steffi, eine Usedom begeisterte Pharma-Assistentin, und ich hielten uns an den Weisswein, den Rika gleich nach dem Auslaufen servierte.
Wir sahen in der Ferne Seeadler und Kraniche fischen und Rika erzählte begeistert von ihren Naturbeobachtungen.
Es war kein strahlend schönes Wetter, aber an der Himmelskulisse wechselten die Bilder unglaublich schnell.
Wir horchten auf Wind und Wasser und genossen die Fahrt.
Es wurde kühler, und wir kehrten schliesslich zum Hafen zurück und wärmten uns mit Kaffee und Kuchen im Garten einer kleinen Kaffeestube auf. Kaum stand der Kuchen auf dem Tisch, fielen die ersten Regentropfen. Wir flüchteten uns auf Martinas Segelboot, dem letzten am langen Steg.
Es wurde ein wunderschöner Nachmittag. Rika erzählte, wie sie zu ihrem jetzigen Beruf als Zeesenbootskipperin kam.
Ihr Vater hatte 1972 ein Zeesenboot aus dem Jahr 1929 am Stettiner Haff gekauft, um es vor dem Verschrotten zu retten. So lernte die kleine Rika das Segeln von der Pike auf. Das Meer und Segeln blieb ihre Leidenschaft.
Beruflich wählte sie die Gastronomie, absolvierte in Leipzig ein Fachschulstudium der Gastronomie und arbeitete jahrelang als Restaurantleiterin in Berlin. Sie bildete sich zur Diplom-Kauffrau weiter. Aber die Freiheit und das Segeln lockten.
Sie wagte 1998 den Sprung in die Selbständigkeit und begann mit der „Romantik“ touristische Segeltouren anzubieten.
Heute kämpft sie hart, um einen passenden, kostengünstigen Liegeplatz für ihr Boot zu bekommen. Offenbar haben die Behörden nicht begriffen, dass Rikas einzigartiges Angebot für den Tourismus auf Usedom ein Gewinn ist. Aber eben, Rika nimmt kein Blatt vor den Mund – und wie überall auf der Welt, gibt es politisch geprägten Filz.
Für Rika ist ein Liegeplatz in einem gepflegten Hafen existenziell. Und schon waren wir mitten in heissen Diskussionen. Wie könnte man Rika unterstützen?
Martina erzählte, wie sie zum Boot kam, auf dem wir alle vier nun so gemütlich plauderten, während der Regen auf das Bootsdach prasselte.
In den 70-er Jahren besuchte sie mit ihrem damaligen Freund eine Bootsschau. Er begeisterte sich für ein Boot, eine absolute Neuheit auf dem Markt – und entsprechend teuer. Für sie beide nicht erschwinglich! Martina hat das Boot nie ganz vergessen. Per Zufall sah sie das Boot vor einigen Jahren ausgeschrieben. Genau dieses Boot von der Ausstellung. Ihr Freund ist gestorben, aber sie hat den Traum verwirklichen können, hat das Boot restauriert und verbringt nun Wochenenden und Ferien auf ihrem Boot.
Steffi steckte mich mit ihrer Begeisterung für Usedom an und gab mit viele Tipps. Sie zieht das «Hinterland» den mondänen Ostseebädern vor.
Es dunkelte bereits, als ich glücklich und erfüllt durch eine prächtige Lindenallee – und nicht mehr über die «Steingleisstrasse» – zurück zu meinem Hotel fuhr.
Solche Begegnungen sind «Klunker» in er Perlenkette des Lebens. Vier Menschen, per Zufall zusammengewürfelt – und ein Zusammensein, als wären wir alte Freundinnen. Das ist für mich das Schönste an den Reisen!
Es gibt keinen günstigen Wind für den, der nicht weiss, in welche Richtung er segeln will.
Wilhelm von Oranien-Nassau (1533 – 1584)
Berufe auf Usedom
Bootsbauerin
Reetdachdecker
Musik
Rod Stewart – I am Sailing
Buchtipp
Krimi, in dem ein Zeesenboot vorkommt: Die Schattenbucht
Infos
Railtour bietet Reisen nach Usedom an.
Usedom Tourismus GmbH
Rika Harder
Rika vermietet auch eine Ferienwohnung
Ich danke Katherine Rolli von Tourmark und Karina Schulz von Usedom Tourismus für die Organisation der Reise.
Ritanna
Hm, jetzt verstehe ich den Reiz des Wassers mit dem “Schwimmholz”.
Und ja, Deine Bilder erzählen selbst. Jedes Detail als Bild ist wie ein Lebens-Roman, erzählt ohne Worte. Lässt spüren die Liebe zum Wasser, zum Schiff mit Charakter, die Lebensweise – die – man nicht mehr gewillt ist, aufzugeben.
Sven
Es war eine schöne Stunde zum Sonnenuntergang. Sehr romantisch.
Etwas streng die Dame, wenn es um Fotos geht.
Es sind nun mal Touristen die ein paar Erinnerungen wollen. Ansonsten ein sehr schöner Abend.