Cluny

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Es gibt Orte, da hat man das Gefühl, Geschichte steige aus der Erde und liege überall in der Luft.

 

Der kleine Ort Cluny liegt inmitten einer sanften Hügellandschaft mit Weinbergen westlich des Rhonetals. Der achteckige Kirchturm überragt das Dächermeer mit den vielen Kaminen. Hübsch, aber nicht überwältigend. Kein Wunder, ist er doch nur ein kleiner Nebenturm, allerdings der letzte der fünf Türme der Abteikirche. Er schmückte lediglich ein Seitenschiff des im Mittelalter grössten Gotteshauses der Christenheit, der Abtei Cluny.

Um die vorletzte Jahrtausendwende herum beeinflusste die Benediktinerabtei Cluny Politik, Kunst und religiöses Leben in ganz Europa. Obwohl von der grossen Klosterkirche nur noch zehn Prozent der Bausubstanz erhalten ist, gerät man in der Stadt, die im Mittelalter das spirituelle Zentrum von Europa war, in den Bann der grossen Zeit der Benediktiner Äbte, ihrem Leben und Wirken.

Der kleine Ort Cluny mit seinen typisch französischen Häusern und Strassen, Restaurants und Läden ist heute ein Ort, den viele Touristen aus aller Welt besuchen.

Sie flanieren durch die Strassen, fotografieren jeden Stein und versuchen, sich vorzustellen, wie Cluny zu seiner Hochblüte im Mittelalter war.

Wir hatten einen sehr sympathischen und kompetenten lokalen Reiseführer: Thomas Chevalier. Er verstand es, uns Cluny so näher zu bringen, dass wir unser Schulwissen mit historischen Fakten und dem Erleben in der aktuellen Gegenwart vernetzen konnten.

Tafeln und…

Modelle…

sowie moderne bildgebende Verfahren lassen die ursprüngliche, gigantische Grösse der Abteikirche erahnen.

Thomas Chevalier zeigte uns die mächtigen, aber auch die kleinen, versteckten Schönheiten von Cluny.

Dass die Zeit der grossen Klosterkirche heute präsent ist, erklärte Thomas Chevalier sehr eindrücklich. In seinem neu erstandenen alten Haus in der Innenstadt sind die Kellerwände aus Steinen, die aus der Abteikirche stammen. Wie kann das sein?

Die Abtei war rund 300 Jahre lang das grösste Gotteshaus der Christenheit. Symbol dafür, was der Wille, Gott zu ehren und den Menschen zu imponieren, bewirken kann. Die Kirche war 187 Meter lang,  knapp so lang wie zwei Fussballplätze. Es gab vier Seitenschiffe, zwei Querschiffe und eine Apsis mit Säulenumgang, an die sich fünf halbrunde Kapellen anschlossen.

Am besten erfasst man das Ausmass des gigantischen Bauwerks von der Stelle, wo das Hauptportal stand.

Hier findet man auch einen Garten mit Heilkräutern.

Die Klostergemeinschaft wuchs ab dem Jahr 910 von anfangs 12 Mönchen schnell an. Der Orden bekam die Erlaubnis, weitere Benediktinerkloster zu gründen. Die Abtei verdankte ihren weitreichenden Einfluss ursprünglich der Beachtung der strengen Ordensregeln. Mit dem Erfolg änderten sich auch die Sitten, das war damals nicht anders als heute: Das Armutsgebot wurde später kaum noch befolgt.

“Ora et labora” geriet zugunsten des Ora aus dem Gleichgewicht.

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Päpste besuchten mit ihrem Gefolge die prunkvolle Abtei, die Äbte waren intellektuelle Persönlichkeiten, die das Studium der Antike und die Wissenschaft förderten. Sie wirkten als Schiedsrichter und Berater von Königen und Päpsten und beeinflussten Politik und Geschichte. Sie liessen beispielsweise den Koran ins Lateinische übersetzen und zwei von ihnen wurden gar heiliggesprochen.

Auf ihrem Höhepunkt war die Abtei Cluny das Zentrum eines mönchischen Imperiums, dessen Autorität sich über 1’000 Klöster und mehr als 10’000 Mönche in ganz Europa erstreckte. Man sagte damals: „Wo der Wind eintritt, tritt auch der Abt von Cluny ein“.

Im 13. Jahrhundert wurde der Orden der französischen Krone unterstellt und der Abstieg begann.

Die Abteikirche fiel schliesslich der französischen Revolution zum Opfer. Sie wurde verkauft und zum Steinbruch.
Deshalb findet man nicht nur in Thomas Chevaliers Keller Steine aus der einst grössten Kirche der Christenheit.

Soll man die Abteikirche wieder aufbauen, wie Dresden seine Frauenkirche wie Phönix aus der Asche neu entstehen liess?

Das Hotel, das heute mitten in der ehemaligen Kirche steht, müsste einem solchen Bauvorhaben weichen. Und – woher die Finanzen nehmen?

Wir müssen uns mit den heute noch bestehenden zehn Prozent zufriedengeben und uns mit viel Fantasie vorstellen, wie es einmal war.

Und dabei auch berücksichtigen, dass seit der französischen Revolution die Zeit nicht stehengeblieben ist.

In Cluny kann man noch viel entdecken, beispielsweise den Markt.

Cluny repräsentiert ein Stück Kirchengeschichte. Man kommt nicht darum herum, sich eine eigene Meinung zu Religion und zur Rolle der Kirche zu bilden – und darüber zu diskutieren.

Ein Besuch eines Ortes wie Cluny ist ein tolles Reiseerlebnis, zwingt aber auch, über Leben und Tod, über Spiritualität, Psychologie und Philosophie nachzudenken.
Am liebsten würde man aus verschiedenen historischen Epochen Menschen treffen und mit ihnen sprechen. Noch können wir uns aber nicht in vergangene Zeiten beamen. Wohl aber andere Meinungen respektvoll lesen, auch wenn sie nicht der eigenen entsprechen – beispielsweise Gedanken von Stefan Uhlig zum Thema Spiritualität.

Die Welt, mein lieber Engel, ist kein Kloster.

Honoré de Balzac

Mittelalterliche Kirchenmusik

Tourismus Cluny

Ich danke Bourgogne-Franche-Comté Tourisme für die Organisation der Reise.

Atout France

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Lauschiges Plätzchen

  1. Ritanna

    Dieses Dein tolles Reiseerlebnis von und über den Orte Cluny ist ein verführerischer Weg – mich ganz in das vorgegebene Thema:
    “Gedanken von Stefan Uhlig zum Thema Spiritualität.” packen zu lassen! um dann…….
    Diskussion darüber zu starten, das ist schwierig. Ich habe auch als Kind versucht, (ja was) herauszufinden was das ist – Spritualität/Religion- Über verschiedenes erleben, erleiden, ausgeliefert sein, sich aufrappeln, ver-zweifeln, suchen, weinen, hinterfragen, zuhören, widersprechen, mich hinterfragen, resignieren und immer noch da sein, wieder von vorne beginnen, sich aufbäumen, versinken lassen, ja sterben lassen und wieder aufstehen, aushalten, da sein …………………………………….
    durch all das bin ich grossen Modus zu all dem gekommen, was oben beschrieben, angedeutet wird.
    Es ist ein Prozess, ein Lebensprozess mit aller höchsten Anforderungen.
    Und immer weiss ich noch nichts, kann lediglich er-ahnen…………………………..

    • Stefan Uhlig

      ja, darüber zu diskutieren ist schwierig. Vielleicht ist es mehr ein Austausch, ein Erzählen, ein Teilhabenlassen an den eigenen Erfahrungen, wie Du es umschreibst. Deine Wörter stimmen mich nachdenklich: “erleiden, ausgeliefert sein, aufrappeln (was für ein schönes Wort), aufbäumen, ver-zweifeln, er-ahnen, sterben lassen..-” Es klingen eigene Erlebnisse an. Mein spiritueller Weg, oder wie immer man es nennen soll, führt immer wieder auch durch dunkle, gefährliche und abgründige Gebiete, genau wie in den Märchen, wo der Held in der dunkelsten Schlucht den goldenen Schatz findet.

    • Robert

      Vielleicht kannst Du es auch so betrachten : Einerseits ein gigantisches Gebäude mit Türmen, die fast bis zum Himmel reichen, mit Strukturen und Räumen, geprägt von wohldurchdachter visueller Harmonie, geeignet für stille Kontemplation und grandiose Musik. Andererseits das unausgewogene Gesicht eines Papstes, das eigenwillige Kleinrelief in Stein, das nicht zum gediegenen Blätterornament nebenan passen will und auch nicht zum frommen Lammsymbol über ihm – und vor allem die farbenfrohen Blumenbüschel, die unbekümmert, ungeordnet und ohne klerikale Rücksprache in beliebigen Mauerritzen ihr Lebensrecht in Anspruch genommen haben.

      • Regula Zellweger

        Danke, lieber Robert, für den schönen Kommentar. Es gelingt Dir, die Eindrücke in ihrer Verschiedenheit in einer beeindruckenden Sprache zu einem Ganzen zusammenzubinden und aufzuzeigen: Die Dinge haben den Wert, den man ihnen gibt. Und jeder hat seine individuellen Werte, die das einzigartige Menschen- und Weltbild eines jeden Menschen bestimmen, Zum Weltbild gehört auch das Fühlen, Denken und “Meinen” zu Leben und Tod – was wiederum das Handeln im Alltag bestimmt.
        @Stefan: Ist das “spirituell”?

        • Stefan Uhlig

          Fühlen und denken bringe ich stark auch mit Energie in Zusammenhang. Ein Gefühl ist immer irgendwo im Körper als eine Art energetisches Empfinden vorhanden, eine Art Pulsieren oder bei Angst ein Zusammenziehen und in der Liebe ist es Wärme, ein sich Ausdehnen…
          Solche Orte wie Cluny haben auf mich eine starke energetische Ausstrahlung. Die Harmonie der Architektur und der Landschaft beeinflussen meinen Körper, meine Gedanken und meine Gefühle. In Cluny war ich leider noch nie. Dafür aber in Vézelay: http://www.abbayedefontenay.com/en/discover-fontenay/the-abbey-and-its-gardens. Und Chartres zieht mich auch immer wieder an. http://www.arkanum.com/geomantie/chartres.htm

      • Ritanna

        grandios beobachtet: genauso ist das Leben.

      • Stefan Uhlig

        Ja, dieses unausgewogene, jugendliche, fast kindliche (?) Gesicht eines Papstes liess mich auch nicht mehr los. Werdet wie die Kinder?
        Wie schön Du es sagst, Robert, dass sich die farbenfrohen Büschel ohne Rückfrage einfach fröhlich entfalten!!!

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