Als Bloggerin verstehe ich mich als Fluchthelferin. Flucht aus dem Alltag, hin zu erfüllenden Erlebnissen. Also, auf zur Flucht nach Solothurn. Es lohnt sich.
Insbesondere während der jährlichen Barocktage im August.
Warum hat Solothurn, eine eher kleine Kantonshauptstadt, so viele Schlösser in ihrer Umgebung?
Solothurn beherbergte von 1530 bis 1792 die französische Gesandtschaft in der Alten Eidgenossenschaft.
Im Museum im Schloss Waldegg findet man ein Modell dieser Gebäude.
Söhne des Solothurner Patriziats machten Karriere im französischen Königreich. Zudem war das Söldnerwesen im katholischen Solothurn verbreitet, während in den reformierten Nachbarkantonen die Reisläuferei wenig den religiösen Werten entsprach.
Solothurner kamen einerseits im Ausland zu Reichtum, anderseits erlebten sie dort das Leben an den Fürstenhöfen. Solche Schlösser wollten sie auch haben – und so entstanden in und um Solothurn Schlösser und Schlösschen.
Ein typisches Beispiel ist das Schloss Waldegg in der Gemeinde Feldbrunnen-St. Niklaus in der Nähe der Stadt Solothurn.
Es wurde zwischen 1682 und 1690 als Sommerresidenz des Schultheissen Johann Viktor I. von Besenval erbaut. Seinem Vater Martin von Besenval, der 1628 als «Silberkrämer» aus dem Aostatal eingewandert war, gelang in kurzer Zeit der Aufstieg in die Solothurner Oberschicht.
Die Familie Besenval kam, wie zur selben Zeit Stockalper im Wallis, im Salzhandel zu Geld und stieg dann in den lukrativen Solddienst für Frankreich ein.
Die Patrizierfamilie besass in der Stadt Solothurn ein Palais, das von 1703 bis 1706 von den beiden Brüdern Johann Viktor II. und Peter Joseph Besenval nach französischem Vorbild als Maison entre cour et jardin ganz in Solothurner Kalkstein errichtet wurde. Früher gehörte dazu eine weitläufige Gartenanlage.
Ab dem frühen 20. Jahrhundert wurde das Schloss Waldegg ganzjährig bewohnt. Mangels Nachkommen ging das Schloss 1963 als Stiftung an den Kanton Solothurn. Heute dient das Schloss als Wohnmuseum und als Veranstaltungsort für Ausstellungen, Konzerte und private Anlässe.
Besucher des Museums bestaunen die Inneneinrichtung.
Die Farbgebung ist sehr harmonisch.
Hier wähnt man sich ganz woanders als in einem Vorort von Solothurn.
Man vergleicht alte Bilder des Schlosses mit seinem heutigen Aussehen.
Man ahnt den Grundriss des Schlosses.
Und studiert die Pläne der Gartenanlagen.
Der Barockgarten wurde von Johann Viktor I. von Besenval (1638-1713) angelegt. Mit seinen Obelisken und Säulen nahm er zunächst Elemente der italienischen Gartenarchitektur auf. Die Veränderungen um 1700 betonten mit der Einteilung der Beete und der Treppenanlage den französischen Einfluss.
Im 19. Jahrhundert wurde der französische in einen englischen Garten umgewandelt.
1988 bis 1991 wurde die Gartenanlage aufgrund archäologischer Ausgrabungen und historischer Bilddokumente im barocken Stil rekonstruiert.
Sehenswert ist die Orangerie, rechts im Bild.
Das Orangerieparterre und die Orangerie aus dem 18. Jahrhundert wurden 2005 rekonstruiert und restauriert. Der immergrüne, zugleich Blüten und Früchte tragende Orangenbaum war in Herrenhäusern seit der Renaissance beliebt.
Er lässt ans Paradies denken.
Das himmlische Paradies findet man in der Kapelle neben dem Schloss.
Das eher weltliche Paradies im Badehaus in einem Nebengebäude.
Ein liebevoll gestaltetes Gartenparadies mit Nutzpflanzen schliesst sich an die Kapelle an.
Mach schaut gleichzeitig zum Fenster hinein und hinaus.
Lauschige Plätzchen finden sich überall.
Auch wenn die Sitzmöbel nicht zum Verweilen einladen, so sind doch Schloss, Gärten und Museum unter der Leitung von Andreas Affolter ein lebendiger Begegnungsort, wo man kulturelle Anlässe besucht, attraktive Vermittlungsangebote in Anspruch nimmt, sich Sonderausstellungen anschaut und in den Gärten lustwandelt.
Nicht ganz so prachtvoll wie Waldegg ist Blumenstein. Der Landsitz der Familie Greder ist lediglich ein Spaziergang vom Schloss Waldegg entfernt. Auch dieses Gebäude aus der Barockzeit, erbaut von 1725 bis 1729, verdankt seine Existenz Patriziern, die mit Solddienst ab 1580 ein Vermögen machten. Innerhalb von vier Generationen stellte die Familie Greder drei Obersten und drei Brigadiers, und als Generalleutnant erreichte Franz Lorenz gar den höchsten Rang.
In fremden Kriegsdiensten kann man reich werden – aber auch tot.
Nachdem von den 12 Kindern von Wolfgang Greder, 1632 bis 1691, einer Mönch wurde und alle seine restlichen Söhne sehr jung oder im Spanischen Erbfolgekrieg den Tod fanden, ging der Familienbesitz an deren Schwester Maria Franziska Greder und ihren Ehemann Heinrich von Stäffis über.
Das Paar baute zwischen 1725 und 1729 den Landsitz, der heute das Historisches Museum – und damit auch die Ahnengalerie der Familie Greder – beherbergt.
Beim Betreten des Museums fällt der Blick auf eine beeindruckende “Bettelmaschine”.
Das Treppenhaus ist elegant und Dienstpersonal konnte herangeklingelt werden.
Der Tisch ist gedeckt.
Geschirr, Wandteppich und Uhr zeugen vom Reichtum der Familie. Uhren hat es viele in diesem Haus.
Wer wohl Monate lang am Greder-Teppich gearbeitet hat?
Jede Kachel ist ein Unikat.
Kronleuchter verbreiten warmes Licht.
Wertvolle Textilien schmückten die Räume.
Besonders im späten 17. und im 18. Jahrhundert waren Chinoiserien populär.
“Man reiche mir die Riechflasche”, hiess es. Der Schönheit widmete man sich, weniger aber der Hygiene. Nun kann ich endlich die Sprache der Schönheitspflästerchen verstehen. Übrigens: Auch Casanova weilte in Solothurn.
Das Museum nimmt mutige Themen auf, beispielsweise “Seife, Sex & Schokolade – Vom Umgang mit den Körpersäften”.
Auch der Tod wird thematisiert.
Neben den Prachtsälen findet man im Blumenstein auch Räume für die einst zahlreichen Angestellten der Familie von Stäffis – Greder. Wie lebte es sich, wenn man als Bedienstete diese steile, enge Treppe ins Zwischengeschoss in die kleine Schlafkammer steigen musste?
Imposant ist die astrologische Uhr im Treppenhaus.
Sie stammt aus dem Jahr 1609.
Auf den ersten Blick scheint das Museum relativ klein – die kantonale Sammlung ist aber riesig. Im Moment sind 18’500 Objekte in der Datenbank erfasst.
Das Museum lebt. Zahlreiche Veranstaltungen finden vor Ort statt, von den Führungen für Kinder und Erwachsene über ein Detektivspiel, Musikabende und einen Barocken Tarockspielabend bis zu Whisky Tasting mit Musik.
Vom Whisky im Historischen Museum ist es nicht weit bis zum Gin im Kapuzinerkloster.
Viele Jahre stand das Kloster am Stadtrand leer. Nun pulsiert das Leben in den 430 Jahre alten Mauern und in der Gartenanlage.
Dem Kloster Leben eingehaucht hat der erfolgreiche Gastronom und ehemalige Solothurner Partykönig Urs Bucher. Statt sich im Pensionsalter zur Ruhe zu setzen, übernahm er die Betriebsleitung und realisiert zwei Ziele: Menschen mit Einschränkungen schaffen einerseits durch ihre Tätigkeit im Kloster die Reintegration in die Arbeitswelt, anderseits leistet der Klosterbetrieb einen Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung, indem er nicht-marktkonforme Lebensmittel von Bauern oder Privatpersonen verarbeitet.
“Am Ende ist alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.” Wechselnde Zitate stehen auf der Tafel vor dem Eingang, heute eines von Oscar Wilde. Frühlingsblumen blühen in Körben. Urs Bucher erkennt man am Hut.
Er besitzt eine Menge!
Vor dem Eingang wurzelt ein uralter Baum, der in seinem Leben bestimmt viel gesehen hat. Ein alter Herd rostet blumengeschmückt vor sich hin.
Der Zugang zum Kloster ist wie früher: Glocke ziehen, Klappe öffnet sich, der Gast wird befragt und wenn er Glück hat, eingelassen.
Urs Bucher sprudelt vor Ideen und versteht es, andere mit seiner Begeisterung für seine Projekte anzustecken. Bei ihm ist vieles möglich, er ist ein Sammler und offen für vielerlei Ideen. Das macht ihn sympathisch.
Immer dabei: Seine Hündin.
Der Kloster-Club zählt rund 25 Mitglieder, die in Freiwilligenarbeit den grossen Garten bewirtschaften.
Die Produkte aus dem Garten werden unter anderem in der Küche oder in der Apotheke verarbeitet.
Das kulinarische Angebot des Kapuzinerklosters ist saisonal und regional.
Das Kloster brennt auch verschiedene Sorten Gin.
Gin ist schliesslich ein Heilmittel.
Beliebt sind die Geschenkpakete mit Produkten aus dem Kloster.
Wenn diese Bibliothek erst einmal wieder bestückt ist!
Hier kann man rustikale Feste feiern.
In diesen Räumen kann es auch festlich zugehen – und das Kloster ist auch ein guter Ort zum Lernen.
Mitten im Kreuzgang steht eine Madonna im Lavendel.
Die Klosterkirche strahlt Würde aus.
Man findet aber überall Plätze, wo man in sich gehen kann. Hier bietet die Natur ein romanisches “Kirchenschiff”.
Bei Führungen erfahren die Teilnehmenden Geschichten rund ums Kloster und besuchen den alten Weinkeller, die Holzofenküche, den Heilpflanzengarten, die Apotheke, eine original hergerichtete Zelle, die Bibliothek und das Guardianzimmer und weitere spannende Räumlichkeiten.
Regelmässig kann man Märkte, Konzerte sowie interessante Kurse besuchen.
Im Kapuzinerkloster herrscht ein tolerantes Klima, wo man friedlich nebeneinander ganz sich selbst sein kann.
Solothurn barockt auch dieses Jahr wieder. Attraktive Programme locken Besucher im August nach Solothurn. Agenda zücken und eintragen. 🙂
Die Geschichte eines Hauses
ist die Geschichte seiner Bewohner,
die Geschichte seiner Bewohner
ist die Geschichte der Zeit,
in welcher sie lebten und leben,
die Geschichte der Zeiten
ist die Geschichte der Menschheit.
Wilhelm Raabe (1831 – 1910)
Informationen
Barocktage
Tourismus Solothurn
Schloss Blumenstein
Schloss Waldegg
Blogbeitrag zu Schloss Waldegg von meiner Kollegin Juliane
Kapuzinerkloster
Mein letzter Blogbeitrag “Solothurn barockt“.
Dank
Ich danke Tourismus Solothurn und Gretz Communication für die Organisation dieser Reise.
Ein grosser Dank geht an den Historiker und Konservator des Museums Blumenstein Erich Weber, der mich durch Solothurn und zu den Schlössern geführt hat. (24’000 Schritte an diesem Tag. 🙂 )
Herzlichen Dank auch an Andreas Affolter, er hat sich viel Zeit genommen, mir Schloss Waldegg und seine Gärten zu zeigen.
Danke auch Urs Bucher im Kapuzinerkloster. Ich bewundere ihn für seine Toleranz und seine vielen Projekte.
Musik
Ich habe nach Schlosskonzerten gesucht. Ich fand:
Ein Kontrabasskonzert
Ein Konzert für Oboe, Englischhorn und Klavier
Schlosskonzert Brig Blockflöte
Buchtipp
Verbrechen in der barocken Ambassadorenstadt Solothurn? Auch das gibt es. Mindestens zwischen zwei Buchdeckeln.
Autor Christof Gasser: “Fest entschlossen, Solothurn auf die Krimi-Landkarte der Schweiz zu setzen, begann ich zu schreiben. Mein erster Roman “Solothurn trägt Schwarz” erschien 2016.”
Weitere Titel:
Solothurn streut Asche
Solothurn spielt mit dem Feuer
Solothurn Tanzt mit dem Teufel
Wenn ein Krimiautor einen Reiseführer schreibt, muss er spannend sein.
Ursula Gröbly
Wunderbar – ich kenne all diese Schönheiten nicht! Aber nicht mehr lange! Ich werde in Kürze mit einer Freundin als Geburtstagsüberraschung da hinfahren.
Herzlichen Dank für diesen erhellenden und interessanten Beitrag.
Ritanna
Fantastisch, atemberaubend – zeichnest Du uns Solothurn und das ganze leben damit. Du machst mich ganz neugierig. Danke
Edda Neitz
Ein wunderbarer Beitrag zu den vielen Sehenswürdigkeiten in der Schweiz, die auch uns Deutschen – insbesondere meiner Person :-)) – nicht bekannt sind. Viele Grüße aus dem fernen Aachen!
Adrian Spiegel
Liebe Regula. Ja, ja, ich weiss schon dass Solothurn eine wunderprächtige Barockstadt ist und ich komme ja auch von dort. Währest du ein paar Wochen früher dort gewesen, hättest du noch meine Ausstellung besuchen können! Die war zwar nicht barock aber auch ganz schön. Herzlichen Dank für diesen herzerwärmenden Blog.
Rita
Liebe Regula
Du hast ein sehr gutes Auge für Details! Deine Bilder gefallen mir sehr.
Rita
Sandra Stutz
Liebe Regula
Einmal mehr bin ich hingerissen von deinen Reportagen.
Du animierst uns Leser zum Entdecken und neuen Erfahrungen gegenüber offen zu sein.
Nach jedem Beitrag packt mich die Lust, an die von dir besuchten Orte zu reisen. Einiges wird irgendwann möglich sein!
Herzlichen Dank für die bereichernden Beiträge.