Alpenwelt literarisch und kulinarisch

Bereits letztes Jahr berichtete ich von einem literarischen Kochkurs – damals rund um den Kürbis.

Dieses Jahr boten Regula Jeger und Markus Brauchli wiederum einen literarischen Kochkurs an, dieses Mal unter dem Titel Alp- und Bergwirtschaft. Der Tisch war bereits liebevoll gedeckt.  Auf dem Set konnte man lesen, wie Johanna Spyris Heidi Milch, Butter, Käse und Brot genoss.

Manchmal denken wir Schweizer, die Alpen würden uns gehören. Falsch gedacht!

Digitales Relief der Alpen; Frankreich, Italien, die Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Österreich und Slowenien. Erstellt mit SRTM-Daten.

Die Alpen erstrecken sich in einem 1200 Kilometer langen und zwischen 150 und 250 Kilometer breiten Bogen von Monaco über Frankreich, die Schweiz, Deutschland und Österreich bis nach Slowenien.

Trotz deutlicher regionaler Unterschiede war die Küche im gesamten Alpenraum jahrhundertelang geprägt vom abgeschiedenen bäuerlichen Leben auf den Alpen, den Maiensässen und in den Bergdörfern.

Alp nennt man bei uns Bergweiden, die meist oberhalb der Baumgrenze liegen und während der Sommermonate bewirtschaftet werden. In Bayern und Österreich nennt man diese hochgelegenen Hütten und Ställe Alm. Ein Maiensäss liegt tiefer, unter der Baumgrenze, auf etwa 1200 bis 1600 Meter Höhe. Auch hier wird Vieh gesömmert.

Im Frühling wandern die Tiere mit den Sennen in höhere Regionen, im Herbst wird die Rückkehr, die Alpabfahrt, gefeiert.

Zu den Hauptnahrungsmitteln der Alpenküche zählen Milch und Milchprodukte, Getreide und Mehlspeisen sowie durch Trocknen und Räuchern haltbar gemachtes Fleisch.

Der Kochkurs fand im Agrarmuseum Burgrain statt. 2025 stand die Welt der Alp- und Berglandwirtschaft im Zentrum – mit Workshops, Führungen und Events. Im Fokus standen die Herausforderungen und Innovationen einer Jahrhunderte alten, naturnahen Lebensweise in den Schweizer Alpen. Die Alpsaison gehört seit 2023 zum immateriellen Kulturerbe der Unesco.

Ab November 2025 sind interaktive Elemente der erfolgreichen Luzerner Ausstellung “Schwein-zigartig” zu sehen.

Umgeben von “Schweinereien” wurden wir mit einem reichhaltigen Apéro begrüsst

Wir fassten einen Fänz-Löffel und durften probieren.
Der “Fänz” ist eines der ältesten Rezepte, das auf den Alpen gekocht und gegessen wurde. Muotathaler Rezept: VIEL Butter schmelzen, Mehl einrühren und rösten, bis die Masse leicht braun ist. Salz beifügen. Nach und nach Milch unter Rühren in Achterform beifügen. Zum Kochen eine leichte Sache, zum Essen klar eine schwer verdauliche. 1 Kilogramm Butter, 2 Teelöffel Salz, rund 1 Kilogramm Mehl und etwa ein Liter Milch!!!

Unser “Fahrplan” für den Abend:

Wir konnten uns in Gruppen mit einem der Gerichte beschäftigen. Ich habe die Nase vorn, wo es wenig zu tun gibt – denn ich will ja auch Fotos machen (Faule Ausrede). Vor den Aktivitäten in der hervorragend eingerichteten Küche im Burgrain vermittelte uns Regula Jeger Literatur zum Alpen-Erleben. Ich mische sie im Blog mit den einzelnen Gerichten und kennzeichne Regula Jegers Texte mit kursiver, blauer Schrift.

Die Berge als Ort des Schreckens und der Geheimnisse
Mary Shelley, Frankenstein oder der moderne Prometheus, 1818
«Die riesigen Berge und Abgründe, die mich von allen Seiten überragten, das Rauschen des Flusses, der zwischen den Felsen tobte, und das Getöse der Wasserfälle ringsum sprachen von einer Macht, die so gewaltig war wie die Allmacht.»
Alexander Dumas, Reiseimpressionen, 1832
Während der Dichter im Hotel de la Poste in Martigny sich an einem köstlichen Bärensteak gütlich tat, spürte er, wie sich sein Magen umdrehte, als der Hausherr ihm ohne Umschweife über diesen Bären mit-teilte: «Dieser Bursche her hat die Hälfte des Jägers gegessen, der ihn erlegt hat.»
Charles-Ferdinand Ramuz, Die grosse Angst in den Bergen, 1925
«Der Berg hat seinen eigenen Willen, der Berg hat seine eigenen Ideen.»

Rezepte des Schreckens für mich, ganz persönlich: Der Fänz, die Kastanien und die Walliser Cholera. Beim Rezept mit den Kastanien muss was scheif gelaufen sein und die Cholera erfreute sich generell grosser Beliebtheit.
Gern lese ich Werke des Walliser Schriftstellers Charles-Ferdinand Ramuz. Beispielsweise den Roman “Derborence”.

Ich gebe es zu, als es ums Zwiebel schneiden ging, machte ich mich aus dem Staub. Fotografieren! Und das Endprodukt war einmal mehr alpenländisch seeeeehr nahrhaft – aber nicht wirklich lecker. Gekochte Kastanien und Zwiebeln, mit etwas Mehl angedünstet und abgelöscht mit Rotwein – das löscht auch mir ab. 🙂

Zu Cholera habe ich ein gespaltenes Verhältnis – ich meine nicht die Krankheit, sondern das Walliser Nationalgericht.

Das Wallis ist meine zweite Heimat, wir haben seit über 30 Jahren ein Chalet in Bellwald VS. Mein Rückzugsort!

Walliser Cholera ist ein Gemüsekuchen mit Lauch, Kartoffeln, Käse und Äpfeln, also ein typisches Alpengericht.

Die Gruppe, die Cholera zubereitete, hatte viel zu tun. Rezept

Das Ergebnis war wunderbar anzusehen!

Wachsende Begeisterung für die Berge
Francesco Petrarca, Die Besteigung des Mont Ventoux, 1336
Petrarca bestieg den Mont Ventoux und staunte über die Aussicht, die sich ihm bot. Sein Blick war von der Pracht der Landschaft fasziniert und er fühlte sich von den intensivsten Gefühlen erfüllt.

Der Prototyp der Verherrlichung und Idealisierung der Alpen
Albrecht von Haller, Die Alpen, 1729
Der Berner Dichter besang dichterisch die Grösse und Erhabenheit der Alpen, pries ihre Schönheit und die Einfachheit des Lebens in den Bergen. Die Alpen als Gegenpol zur menschlichen Zivilisation.

Jean-Jacques Rousseau, Julie ou la nouvelle Héloïse, 1761
«Es scheint, dass man, wenn man sich über den Aufenthalt der Menschen erhebt, alle niedrigen und irdischen Gefühle dort zurücklässt, und dass die Seele, je mehr man sich den ätherischen Regionen nähert, etwas von ihrer unveränderlichen Reinheit aufnimmt.»

Kulinarisch bin ich eher im Kanton Graubünden zuhause. Die Gerichte Bündner Capuns, Plain in Pigna und Älpler Gerste repräsentieren diesen Bergkanton. Rezepte

Die Capuns hatte Ursula Brauchli bereits zuhause zubereitet. Bei ihr lagern die Capuns im Tiefkühlschrank – worüber sich Familie und Besucher bestimmt freuen.

Eine Teigmasse mit Fleischwürfeln wird von Mangoldblättern umwickelt und in Bouillon, Rahm und Butter gegart.

Hier nun ein Gericht aus dem Unterengadin: Plain in Pigna

Man könnte es mit “Ofenrösti” bezeichnen. Bereichert mit Salsiz- und Speckwürfeln.

Plain in Pigna ist ein Kartoffelgericht, das im Backofen gegart wird.

Von allen Gerichten des Abends ist dies mein Favorit! Rezept

Die Bündner Gerstensuppe ist bekannt.

Wir kochten Älpler Gerste. Rezept

Ein Genuss!

Auch sehr delikat war die Rahmsuppe. Hier eine Auswahl an Rezepten.

Für die Zucchinirösti wurden die geraffelten Zucchini gesalzen und in einem Tuch gepresst und so entwässert.

Rösti soll ja knusprig sein und nicht schwimmen. Rezept Das Tessin ist ein Alpenkanton, ich siedle dieses Gericht in unserer Sonnenstube an.

Der Schweizer Nationalheld – ein Bergler
Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, 1804
«Mich würde es bei meinem jetzigen Geschäft sehr fördern, wenn ich auch die Alpen und die Alpenhirten in der Nähe gesehen hätte!» (Schiller an Johann Friedrich Cotta, im August 1803)

Apfelmus platziere ich in die Urner Alpen – denn da isst man es mit Älpler Magronen. Rezept

 

Nun sind wir wieder bei der Walliser Cholera – auch eine Mischung mit Äpfeln und Käse, mit pikant und süss. Das muss man mögen.

Was gibt es bei uns im Walliser Chalet?

Beispielsweise Spaghettikuchen aus Teigwarenresten.

Oder Apérostangen. Rezept

Butterbrotauflauf ist auch lecker. Rezept

Gefüllter Zopf und Apéro-Nüsse. Rezept

Doch wieder zurück zum Kochabend im Burgrain. Ein Buffet mit allen gekochten Speisen wurde angerichtet.

Man füllte seinen Teller mit den Leibspeisen – und probierte auch die anderen. 🙂

Zum krönenden Abschluss gab es Heidelbeerkuchen, den Regula Jeger bereits am Nachmittag gebacken hatte.

Tiefe Liebe zu den Alpen
Adalbert Stifter, Bergkristall, 1845
Ein Weihnachtswunder im Gebirge: Adalbert Stifter beschreibt in seiner Meistererzählung, wie zwei Kinder am Heiligen Abend im Schneesturm verloren gehen – und am nächsten Tag gerettet werden.

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 1883
«Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger… ich liebe die Ebenen nicht, und es scheint, ich kann nicht lange stillsitzen. Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebnis komme, – ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen.»

C. F. Meyer, Himmelsnähe, 1892

Hermann Hesse, Berge in der Nacht, 1905

Rainer Maria Rilke, Der Berg, Neue Gedichte 1908

Und dann…

 

… die grosse Überraschung des Abends. Franziska Dürmüller, die Seele des Museums Burgrain und Betruferin, schenkte uns ihren Alpsegen.
Der Alpsegen, auch Betruf genannt, ist ein archaisches Schutzgebet in Form eines Sprechgesangs. Vielerorts wird er allabendlich vom Sennen – von der Sennerin – auf einer kleinen Anhöhe seiner Alp gerufen.

Die Alpen wachsen jährlich 2 Millimeter.
Es geht mit uns aufwärts.

Aus der Schweiz

Dank
Ich danke Regula Jeger und Markus Brauchli für den perfekt vorbereiteten, genussvollen Abend. Ursula Brauchli danke ich für die Capuns.
Franziska Dürmüller danke ich für die Organisation vor Ort und den Alpsegen.
Regula Schmidt danke ich, dass sie mich immer wieder motiviert, am Kochkurs im Burgrain teilzunehmen.
Wir freuen uns bereits auf den Kurs im November 2026.

Informationen
Museum Burgrain
Blog-Rezeptsammlung
Chalet in Bellwald
Gletscher, Kampfkühe und Cholera
Alpkäse: Herbstgrüsse Berichte und Rezepte

Musik
Richard Strauss:  Eine Alpensinfonie 
Richard Strauss: Also sprach Zarathustra
Johann Strauss: Gedanken auf den Alpen
Schweizer Volksmusik
Mountain Views, Black Dyke Band

Buchtipps von Regula Jeger

Hansjörg Schneider, Sennetuntschi, 1972
Tim Krohn, Vrenelis Gärtli, 2007
Tim Krohn, Quatemberkinder und wie das Vreneli die Gletscher brünnen machte, 2010
Tim Krohn, Die Stille der Höhe, Erzählungen aus den Bergen, Oktober 2025
Robert Seethaler, Ein ganzes Leben, 2014
Mariann Bühler, Verschiebung im Gestein, 2024
Monique Schwitter, Kleiner und Grosser Mythen, Literatur und Kritik, 2025
Martina Clavadetscher, Die Schrecken der anderen, 2025

Vorbereitende Literatur
Martin Bienerth, Alpechuchi, Fona Verlag 2011
So ein Alpsommer möchte gut geplant sein, wenn es ums Essen geht. 16 Stunden Arbeit jeden Tag, viel frische Luft und viel Bewegung, das macht hungrig und viel, viel Appetit. Früher, so sagt man, gab es Polenta mit Käse, Teigwaren mit Käse, Polenta mit Teigwaren, alles mit Milch und Schnaps und dann alles wie-der von vorn … Aber es geht auch vielseitiger.

Neues Handbuch Alp, Handfestes für Alpleute, Erstaunliches für Zaungäste, zalpverlag Mollis 2012
Die legendäre Älplerbibel.
Über 50 AutorInnen und FotografInnen bringen im Neuen Handbuch Alp ihr Wissen ein, vermitteln praktische Tipps und sinnieren über das Leben oberhalb der Waldgrenze. Oft mit einem Augenzwinkern, immer aus der eigenen Erfahrung heraus, griffig, kompetent, überraschend. Ein Buch, das quietscht wie ein Mund voll trockener Käsekörner und dampft wie ein Kuhfladen in der Morgenfrische. Ein Buch für 100 Tage Alp oder eine durchwachte Nacht.

Barbara Piatti, Es lächelt der See, Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz, Rotpunkt Verlag 2013
15 literarische Wanderungen eröffnen ungeahnte Zugänge zu diesen erzählten Welten. Die Spuren führen in Bergtäler, zu Wasserfällen, auf Alpwiesen, über Pässe und zu Seeufern, in Kavernen und Stollen.

Monica Schulthess Zettel, Das Beste aus den SAC-Hüttenküchen, Weber Verlag 2021
43 engagierte Hüttenwartinnen und Hüttenwarte bereiten in SAC-Hütten tagtäglich unter nicht immer einfachen Bedingungen feinste Gerichte zu. Sie alle öffnen ihre persönlichen Rezeptbücher, damit Interessierte deren Rezepte selbst ausprobieren können.

Filmtipp von Regula Jeger
Trailer

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Scuol im Engadin

  1. Mary

    Warum hast du mich da nicht mitgenommen? Das sieht ja fantastisch aus 🙂

  2. Margret Willen

    Liebe Regula
    Habe heute an Dich gedacht und siehe da…
    Toller Artikel! Bekomme gerade Hunger! Lukas ist in Sils im Namen der Kunst … Und ich habe zum Glück noch den Rest Eintopf von gestern! Kohlrouladen „gehäckselt“. Nach Art meiner Mutter!
    Liebe Grüsse aus der Ostschweiz! 😘

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