«Der Mörder ist immer der Gärtner», heisst es. Sollte ich es wirklich wagen, eine Nacht in einem Schrebergarten mitten in München zu übernachten? Irgendwie stellte ich mir eine solche einsame Nacht romantisch und zugleich beängstigend vor.
Es war aber anders.
Schrebergärten haben mich schon immer fasziniert: die kleinen Paradiese der «kleinen Leute». Mit liebevoll geschmückten Häuschen, Grillstellen, Fahnenstangen – und Gartenzwergen.
Als Reisejournalistin übernachte ich an den unterschiedlichsten Orten, vom Luxushotel bis zur Jugendherberge und vom Baumhaus über das Floss bis zum Containertanker auf dem Atlantik.
Aber noch nie habe ich in einem Gartenhaus in einem Schrebergarten geschlafen.
Ich stellte mir das aufregend vor. Was und wer wohl nachts im Garten herumschleicht? Schliesslich liegt die Laubenkolonie gleich neben dem Münchner Westfriedhof.
Mit meinem Besuch bei meiner Journalistenkollegin Martina bekam ich die Möglichkeit, in einer Gartenlaube zu übernachten. Ich wurde mit einem Uhudler begrüsset, passend zur Kletterrose im Hintergrund.
Seit zwei Jahren ist Martina stolze Pächterin eines Schrebergartens. Sie, die den Winter jeweils in Asien herumtingelt, weil ihre Wohnung nach eigenen Aussagen «saukalt» ist, ist aktuell – wegen Corona – sesshaft, pflanzt in Hochbeeten, spricht Gartenlateinisch, jagt fluchend Schnecken, schreibt Bücher und führt Dichterlesungen im Grünen durch. Zurzeit arbeitet sie an einem Schrebergarten-Krimi.
Martina sagt nicht «Gartenhaus», sie sagt «Gartenlaube». «Eine Gartenlaube ist ein kleines, offenes Gebäude, meist aus Holz oder Gusseisen, das es erlaubt, sich vor Sonne oder vor Regen geschützt im Freien aufzuhalten», definiert Google.
Klingt besser als Geräteschuppen. Geräteschuppen klingt nach Fisch.
Letzte Woche habe ich das Gartenhaus von Herrn Goethe in Weimar besucht.
Es hat zwei Stockwerke und der Dichterfürst hat sieben Jahre darin gewohnt.
So stelle ich mir eigentlich kein Gartenhaus vor.

Foto: Anne Webert
Eher wie das kleine Häuschen im Garten eines Bauernhofes im Eichfeld in Thüringen, wo ich an einem kleinen Tisch am Computer arbeitete.
«Die Gartenlaube» war für mich schon immer ein Begriff. «Die Gartenlaube – Illustrirtes (ohne ie) Familienblatt» war ein Vorläufer der modernen Illustrierten.

Titelblatt des ersten Heftes (1853) Wikipedia
Das erste grosse deutsche Massenblatt erschien erstmals 1853.
Die Gartenlaube prägte das rollenspezifische Leben der Bürger und unterhielt mit romantischen Romanen in Folgen. Soap-Operas des Biedermeiers so zu sagen.
Letzte Woche bin ich auf meiner Reise durch Thüringen in Langensalza Ernst Keil, dem Gründer der Gartenlaube, begegnet – in Gedenktafelform.
Und im selben Ort entdeckt man eine Gartenlaube mitten in Rosen.
Doch zurück zu Martinas Gartenlaube. Ihr Garten befindet sich mitten in München, wo es den Kleingartenverband München e.V. gibt. “e.V.” = eingetragener Verein. Dazu gehören 11’000 Mitglieder mit 8’000 Parzellen – wo gilt: «Münchens Kleingärten schaffen Freude und Freunde, verbinden alle Altersklassen, vereinen alle Nationalitäten und schaffen gesundes Klima.» Die sozialen und ökologischen Funktionen des europäischen Kleingartenwesens erleben zurzeit ein Comeback.
In den Gärten hat es Wege.
Die meisten sind gepflegt, einige weniger.
Die Kleingärten können weiter vererbt werden.
Da die Pacht preiswert ist, fällt es älteren Menschen bestimmt schwer, ihre lange Zeit gepflegten Paradiese wegzugeben und sich zuzugeben, dass sie das Gärtnern nicht mehr schaffen.
Um die Gärten führen Wege. Martinas Garten liegt am Rosenweg.
Die Geschichte der Kleingärten beginnt zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Bevölkerungszahlen sprunghaft anstiegen. Es reichte nicht für ein Auskommen für alle und die weit verbreitete Armut wurde zu einem riesigen Problem.
Wohlmeinende Landesherren, Fabrikbesitzer, Stadtverwaltungen und Wohlfahrtsorganisationen versuchten, der Armut mit der Abgabe von Land für die Eigenproduktion von Nahrungsmitteln entgegenzuwirken.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts unterstützte der Leipziger Arzt Moritz Schreber die Bemühungen von Mitbürgern, Gärten zur körperlichen Ertüchtigung zur Verfügung zu stellen.
Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg wurden die Lauben in Kleingartenanlagen oft illegal erweitert und bewohnbar gemacht. Diese Schwarzbauten wurden damals von der Stadtverwaltung meist geduldet und den Bewohnern lebenslanges Wohnrecht zugestanden.
Das lauschige Häuschen im Vordergrund löst andere Gefühle aus als das Hochhaus im Hintergrund.
Heute ist “Urban Gardening”, die meist kleinräumige, gärtnerische Nutzung städtischer Flächen innerhalb von Siedlungsgebieten oder in deren direktem Umfeld, eine Zeiterscheinung.
Die Menschen wollen wissen, was sie essen. Sie wollen selbst anpflanzen und ernten, ihrer Gesundheit zuliebe.
Kleingärten sind eigentlich Lungen von Städten – man setzt mit ihnen kleine Zeichen gegen die Verbetonierung unseres Landes. Und es macht einfach Freude, sich in einem Garten zu betätigen, dem Wachsen und Vergehen zuzuschauen.
Die Nachfrage der Münchner nach einem Kleingarten ist gross. Martina musste dreieinhalb Jahre warten. Unterdessen hat sie sich eingelebt und «ihre Ecke» ist bekannt für Kameradschaft und feuchtfröhliche Abende.
Zudem gehört eine lauschige griechisches Taverne zur Gartenanlage.
An meinem Übernachtungsabend fanden sich Nachbarn ein, es wurde geplaudert und gebechert und ich war froh, als ich Martina sicher im Tram nach Hause wusste. Die Trambahn rattert gleich hinter dem Bretterzaun hinter der Gartenlaube um eine Kurve. Man hört sie. Deutlich. Spät nachts, früh morgens und den ganzen Tag.
Martinas Gartenlaube hat eine separate Komposttoilette, Türe links im Bild.
Das Bett ist bequem und die Laube kann man abschliessen. Die Gartennachbarn hatten zum Abschied in ziemlich alkoholisiertem Zustand abgemacht, gemeinsam zu frühstücken – und zogen sich in ihre Lauben zurück. Zum Schlafen. Und sogar zum Fernsehen. Von Romantik keine Spur.
Zuerst fand ich keinen Schlaf, weil ich fror. Ich zog Martinas dicke Jacke an, schlüpfte unter die Decke und schlief ein. Als ich erwachte, war mir zu warm und ich realisierte, was «Lichtsmog» bedeutet. Die Strassenbeleuchtung erhellte die Gartenkolonie, fast so, als wäre sie ein Fussballfeld. Ich hängte nun die dicke Jacke vor das Fenster.
Dann hörte ich das Tram und dachte daran, dass es auf der gut 11 Kilometer langen Dachauerstrasse fährt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden über die Dachauer Strasse unzählige sogenannte Schutzhäftlinge in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Nun fiel es mir schwer, wieder einzuschlafen.
Fazit meiner Gartenlaubennacht: Von Romantik keine Spur. Wirklich gruselig war nur der Gang zur Toilette. Ich befürchtete, auf eine Nacktschnecke zu treten.
Am anderen Morgen weckte mich Vogelgezwitscher. Ich wanderte durch die Kolonie, schaute mir Häuschen, Blumen, das Gemüse und Outdoor-Sitzgruppen an.
Auffallend sind die vielen deutschen Flaggen.
Ich lächelte über die mehr oder wenige geschmackvollen Deko-Gegenstände und lustige “Garteninneneinrichtung”.
Quer durch die ganze Gartenanlage gelangte ich zu einer schön renovierten, ehemaligen Arbeiterwohnsiedlung. Martina wohnt in einer noch nicht renovierten Genossenschaftswohnung. Sie wird ausziehen müssen, wenn die Wohnung modernisiert wird – die Preise für Wohneigentum und die Mieten schiessen in München momentan in die Höhe.
Hier sind auch gepflegte Gärten zu finden.
Mitten in der Siedlung gibt es einen runden kleinen Park und es finden sich kleine Läden, wo man gern einkauft.
Ich trank hier einen Kaffee und kaufte aufgrund der Absprache, gemeinsam mit den Nachbarn zu frühstücken, reichlich Brötchen, Butter, Käse und Wurst ein.
Leider war ich die Einzige, die nach Wein- und Whiskygenuss noch von dieser Verabredung wusste. Martina, die super Fisch- und Thaigerichte kocht, und ich assen die nächsten beiden Tage ausschliesslich belegte Brötchen.
Gastfreundschaft besteht aus ein wenig Wärme,
ein wenig Nahrung und grosser Ruhe.
Ralph Waldo Emerson, 1803 – 1882
Dank
Ich danke Martina für Ihre Gastfreundschaft in München – insbesondere in ihrer Gartenlaube.
Informationen
Wer einmal in der “Gartenlaube” schmökern will, findet hier Informationen und sämtliche Ausgaben zum virtuellen Schmökern.
Musik
Biedermeierwalzer, Zierer
Gartenlaube hat für mich mit Biedermeier zu tun:
Schubert Arpeggione Sonate in Bildern ihrer Entstehungszeit im Biedermeier um 1824
Biedermeiertänze, Schubert
Kann es nicht verklemmen: Gartenlaubenwalzer 🙁 und In der Gartenlaube
In einer Laube
Buchtipps
Lust auf Laube
Schrebergärten – der neue Trend zum freien Leben im eigenen Grün
Spiessig ist das Schrebern auf der eigenen Scholle schon lange nicht mehr. Seit Jahren findet in deutschen Kleingartenkolonien ein Generationswandel statt und was dort nachwächst, ist spannend! Junge Paare, Familien und Kreative jäten in ihrer Freizeit Beete, wenden den Kompost oder ernten Himbeeren. Hinter gestutzten Hecken verstecken sich viele verwunschene Oasen, in denen sogar Wildwuchs perfekt inszeniert ist.
Reiseführerreihe der besonderen Art: Reisen kennt kein Alter
München: Pulsierendes Leben, packende Kultur und unverwechselbare Küche. Einkaufen in der Sendlinger Straße, ein Spaziergang entlang der vielen Museen oder am Ufer der Isar entspannen – München zeigt sich in diesem Reiseführer in all seinen Facetten.
Einblicke ins Buch direkt bei Tertianum.
Weitere Destinationen: Bodensee, Berlin
Buch von Martina
Runterkommen und drüberstehen
Wir alle verlieren die gute Laune, wenn das Leben unsere Pläne und Erwartungen mal wieder gegen die Wand fährt und alle Mühe vergebens war. Frustration in Serie härtet nicht ab, sondern zermürbt, verschwendet Energie und schreddert Lebensfreude. Wir können Frust zwar nicht vermeiden – aber lernen, besser mit ihm umzugehen. Humorvoll und locker stellt Martina Pahr die gängigsten Frustlinge vor und präsentiert die nach oben offene Frustskala. Sie gibt einen Überblick über den Umgang mit Frust in den verschiedensten Bereichen – von Psychologie über Ernährungswissenschaft bis hin zum Stoizismus – und stellt 26 Frustschutzmittel von A bis Z vor, mit denen du schnell wieder runterkommst, um dann gelassen drüberzustehen!
Buch von meiner Kollegin Elena Eden (Pseudonym für Daniela David)
„Der Garten unter dem Eiffelturm“ ist eine wunderbare Liebesgeschichte, die sich in Paris entspinnt. Ein rätselhaftes Foto vom Eiffelturm und ein Artikel über moderne Gärten in Paris ziehen Alina wieder in die Stadt der Liebe.
Am Ende des Buches gibt es eine umfangreiche Liste der Gärten, die im Roman eine Rolle spielen. Wie zum Beispiel auch der kleine, aber feine Anne-Frank-Garten im Marais, der in kaum einem Reiseführer auftaucht.
Der Anhang des Romans ist also wie ein Gartenreiseführer zu ausgewählten Gärten in Paris und der Normandie zu nutzen. Mit Adressen, Angaben der Websites, guten Tipps und Hintergrundinformationen der Autorin.
Danielas Blog: Von Reisen und Gärten
Weitere Buchtipps zu Gartenbüchern
von Cédric Dettwiler, Eldar.media
Traumgärten der Schweiz
„24 grüne Paradiese zwischen Genfersee und Bodensee“
In 130 Gärten durch Europa
„In diesem Buch führt der Reiseautor und Gartenenthusiast Claus Schweitzer zu den charmantesten, prachtvollsten und aussergewöhnlichsten Gärten und Parks in Europa“
Pflegeleichter Garten – Clever gärtnern Schritt für Schritt
„Viele schöne Ideen für die Gartengestaltung im eigenen blühenden Paradies.“
Was blüht denn da – Original
„Ein Umfangreiches Standardwerk zur Identifizierung von blühenden Pflanzen mit sehr schönen Zeichnungen.
Eignet sich wunderbar als Bestimmungsbuch für Laien. Ausserdem angebunden an die Pflanzenbestimmungs-App ‚Flora Incognita‘.“
Mit dem Hochbeet durchs Jahr
„Tolle Anleitungen, Tipps und Tricks für DIY-Fans, die sich das ganze Jahr über an einem grossartigen Hochbeet erfreuen möchten.“
Adrian Spiegel
Hallo Regula.
Herzlichen Dank für deinen neuen Blog. Der “UHUdler” wäre auch etwas für uns Schlaraffen: Der UHU und Allwissende ist nämlich unser Chef und thront in jeder Burg, wo wir jeweils in der Winterung (Oktober bis April) gemeinsam sippen.
Doch weiter zu Erzählen und Erklären wäre ein abendfüllendes Programm, lieber mal später mehr. Ein lieber Gruss und heb dr Sorg von Susanne und Adrian
Lis Rohner
Liebe Regula,
Deine Bilder und deine Erzählung über die Gartenlauben
haben mich sehr gefreut. Wie schön, gibt es immer noch
diese kleinen, mit viel Liebe eingerichteten Gärten.
Rückzugsorte zum Entspannen und zum Kreativ sein zu dürfen!
Auch deine Garten- Reportagen im Anzeiger sind jedesmal
sehr interessant und schön zu lesen.
Vielen Dank für deinen Blog.
Herzliche Grüsse
Lis